Im Auge des Feuers
Starren Blickes und mit gebeugtem Nacken stieg Karl die Treppe hinauf.
Oben knarzten die Bodendielen, danach die alte Federkernmatratze. Dann wurde es still.
Johan brauchte einen Drink. Karl trug ein dunkles Geheimnis, ein erstickendes Unbehagen mit sich. Die Behörden waren sicherlich nicht informiert worden. Karl hatte bestimmt nichts Offizielles unternommen, um seinen Tod endlich zu dementieren. Er wollte wohl noch bis morgen warten. Beim Gedanken an den Grabstein mit Karls Namen auf dem Friedhof brach Johan der Schweiß aus. Es würde einen gewaltigen Skandal geben. Der Mann mit dem grauen Pferdeschwanz, der im alten Kinderzimmer seines Bruders schlief, war ihm völlig fremd. Aus Johans Sicht ein Eindringling, der aufgetaucht war, um sich einen Anteil am Erbe des Vaters zu sichern.
Johan ging hinaus in die Diele, um zu überprüfen, ob die Tür abgeschlossen war. Mit der Hand auf der Türklinke blieb er stehen. Sog die Luft konzentriert durch die Nase ein. Er meinte Brandgeruch wahrzunehmen. Was Feuer betraf, hatte Johan sensible Antennen und sich auf jede erdenkliche Weise abgesichert, zumindest finanziell.
Johan sah sich in der Diele um. Die Eichenwände mit ehrwürdiger Patina, der Messingbeschlag an der Hutablage und der alte Schirmständer – alles war wie immer. Seine eigene Freizeitjacke hing neben Karls schwerem Wintermantel mit dem Pelzkragen.
Plötzlich griff Johan nach einem Mantelärmel und hielt ihn sich an die Nase. Er roch verbrannt, so wie Kleidung zu riechen pflegte, nachdem man ein Lagerfeuer gemacht hatte.
Johan ließ den Ärmel los, als habe er einen Stromschlag bekommen. Wo war Karl gewesen? Ohne zu zögern steckte Johan die Hand in Karls Tasche. Er fand Streichhölzer, eine Pfeife, frisch gestopft, aber noch unbenutzt. Ein schwarzes Seidenband. Johan fuhr wieder zusammen und legte alles zurück an seinen Platz, als er Schritte auf der Treppe hörte.
»Hast du gefunden, was du suchst?«
Johan drehte das Schloss um. »Ich suche nichts. Ich schließe die Tür ab.«
»So wie du schwitzt, solltest du die Tür vielleicht lieber aufmachen.« Karl stand auf der untersten Stufe und betrachtete ihn ruhig. »Hast du in meinen Taschen was gefunden?«
»In deinen Taschen?« Johan gelang es nicht, glaubhaft entrüstet zu wirken. Seine Stimme klang dünn, wie sie immer geklungen hatte, wenn er als Junge in die Enge getrieben worden war. »Was zum Teufel sollte …«
»Du hast meine Taschen durchsucht.«
»Es roch verbrannt. Ich hab nachgesehen, ob in deinen Taschen etwas brennt.«
»In meinen Taschen brennt? Ich rauche Pfeife, das kann man schon an der Kleidung riechen.« Karl musterte ihn lange. »Warum hast du solche Angst vor Feuer, kleiner Bruder?«
Johans Bewegungen schienen langsam zu erstarren, der Nacken krümmte sich und die Nasenlöcher vibrierten, als bekäme er nicht genug Luft. Er machte auf dem Absatz kehrt. Wollte von dort weg, sich hinlegen, schlafen. Mitten auf der Treppe blieb er jedoch stehen.
»Ja, lass uns darüber reden, Karl. Was ist damals, als du verschwunden bist, eigentlich geschehen? Das Gebäude, in das man dich zuletzt hineingehen sah, ist vollständig abgebrannt. Man hat zwei Leichen gefunden. Und du hast dich nie mehr gemeldet. Vierzig Jahre hast du uns alle in dem Glauben leben lassen, dass dueiner der Toten gewesen seist.« Johan blickte den Bruder empört an. »Brandgeruch wird mich immer an dich denken lassen, Karl.«
Karl hielt dem Blick stand. »Du hast dich im Laufe der Jahre wahrhaftig nicht verändert, Johan. Du hast immer noch etwas Gekränktes und Kindisches an dir.« Karl ging zum Mantel und holte die Pfeife heraus. Er zog an ihr, ohne sie anzuzünden, und legte sie in die Tasche zurück. »Es fällt schwer, dich ernst zu nehmen, wenn du in diesem Ton sprichst.«
»Von Vater habe ich erfahren, dass du die Finanzen ordentlich durcheinandergebracht hast, auch wenn er mir nie Einzelheiten erzählen wollte. Er hat es vertuscht und hinter dir aufgeräumt. Es war ihm wohl zu peinlich.« Karl antwortete nicht und Johan fuhr fort: »Da waren auch noch andere Dinge, nicht wahr? Weibergeschichten? Ich weiß ja, dass du mit …«
»Sag, Johan«, unterbrach Karl ihn zerstreut, so, als hätte er kein Wort des Gesagten gehört. »Gibt es die alte Blockhütte noch, die wir in Hella hatten?«
Johan bewegte den Mund, ohne dass ein Wort herauskam. Er fürchtete, der Bruder sei verrückt geworden. »Natürlich gibt’s die noch!«
»Ich erinnere mich, wie sehr
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