Im Auge des Feuers
Majorstua aufgewachsen und hatte sich nie mit Moos und Moorbirken beschäftigt.
»Wir finden diese Spuren direkt unterhalb der Stelle, an der der Mann entdeckt worden ist. Sie hören hier auf. Weiter oben sind keine derartigen Veränderungen zu sehen. Also wäre es denkbar, dass sie von etwas verursacht worden sind, das über die Birkenstämme und das Moos gezogen worden ist. Ein Schlitten zum Beispiel.«
»Ein Schlitten, bevor es nennenswert Schnee gegeben hat?«
»Es gibt nicht nur Schlitten für Schnee.«
»Was für welche denn dann? Und wie sollte jemand so ein Gefährt hier heraufgezogen haben? Wir sind doch schon ziemlich weit oben und das Gelände steigt stetig an.«
Eira starrte lange nachdenklich auf die Erde. »Wenn der Kopf hier abgetrennt worden wäre, müsste man viel Blut sehen. Das ist aber definitiv nicht der Fall. Der Mann ist vermutlich vorher geköpft und dann hierhergebracht worden.«
Eira warf seiner Kollegin einen kurzen Blick zu und beantwortete die Frage, die ihr ins Gesicht geschrieben stand. »Jemand hoffte auf baldigen starken Schneefall. Ein halber Meter in einer Nacht. Wenn du dich hier auskennst, weißt du, welche Mengen in kurzer Zeit runterkommen können.«
»Der Mord wirkt in hohem Maße geplant.« Berger zurrte sich den Schal enger um den Hals.
»Du sagst es. Der Mörder hat sich eine Menge Arbeit damit gemacht, die Leiche abgelegen zu platzieren. Plötzlicher Affekt oder unkontrollierte Gefühle, so was ist in diesem Fall, glaube ich, vollkommen unwahrscheinlich. Zudem ist der wichtigste Identifikationsbereich des Körpers, der Kopf, entfernt worden.«
Berger nickte. Es schüttelte sie. Sie drehte sich um und sah ins Tal hinunter. Die Dunkelheit war hereingebrochen. Mit einem Mal wirkte der Wald viel dichter. Der Pfad, den sie hinaufgekommenwaren, verschwand nur einige Meter unter ihnen im Gesträuch. Schon bei Tageslicht war wegen des Nieselregens alles eigenartig konturlos gewesen. Jetzt aber schien der Weg schier ins Nichts zu führen. »Eira, es wird hier jetzt plötzlich verdammt finster.«
Eira betrachtete immer noch den Tatort, als lerne er die Details auswendig, als präge er sich jedes aus dem Boden hervorlugende Gras- oder Heidekrautbüschel präzise ein. Er hob überrascht den Blick: »Ja, klar. Um diese Jahreszeit liegt die Dunkelheit immer auf der Lauer.«
»Irgendwie wird im Dunkeln alles so unglaublich riesig. Selbst ein enges Tal wie dieses dehnt sich zu unendlicher Weite aus.«
Eira zeigte zum Weg. »Dort unten steht der Rucksack. Lose oben drauf liegt eine Tüte mit zwei Stirnlampen. Holst du sie bitte?« Er bückte sich und schnitt vorsichtig einen der untersten Zweige ab, an denen die Abschürfungen am deutlichsten waren. »Es war ein bisschen riskant von mir, den Rucksack mitten in der Wildnis abzustellen. Man bewegt sich schnell von ihm weg und findet im Dunkeln nicht zu ihm zurück.« Er konzentrierte sich wieder auf die Fundstelle.
Berger ging widerstrebend hinunter. Sie hatte angefangen zu frieren. Ein nasser Schneerest löste sich von einem Ast und klatschte gegen ihre Stirn. Kine Berger gab einen kleinen Schrei von sich. Glücklicherweise vermischte er sich mit dem Laut einer Krähe, die sich von dem Baumwipfel direkt über ihr erhob. Sie war wohl bloß ein bisschen nervös. Ein Mann war ermordet und ohne Kopf aufgefunden worden. Sie richtete den Blick auf den Weg und versuchte, den dunklen Wald zu beiden Seiten zu ignorieren, erreichte Eiras Rucksack und bückte sich nach der Tüte mit den Lampen. Auf dem Rucksack, hatte er gesagt. Er meinte wohl unten drin.
Von einer Tanne in der Nähe rutschte abermals Schnee. Es gabein dumpfes Klatschen. Zwei weitere Vögel flogen kreischend auf. Berger meinte, etwas weiter unten Bewegungen zu sehen.
»Eira!« In einer so gewaltigen Umgebung klang ihr Ausruf kraftlos.
Eira war blitzschnell bei ihr. »Die Lampen sind nicht da. Bist du sicher, dass du sie überhaupt eingesteckt hast?«
Berger sprach langsam. Ihre Lippen fühlten sich taub an, wie nach einer Spritze beim Zahnarzt. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich von herabfallendem Schnee und kreischenden Vögeln hatte aus der Fassung bringen lassen. Von der rationalen Polizistin war nicht mehr viel übrig. Sie fürchtete sich vor dem Wald, der undurchdringlichen Finsternis und den Schatten zwischen den Bäumen. Und genau das brauchte Eira nicht zu wissen.
»Weg?« Eiras gedämpfter Ausruf riss sie aus ihren Gedanken. »Die Tüte mit den Lampen
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