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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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Kreditkarten – wir hatten gar keine Zeit, mal Luft zu holen, geschweige denn, uns zu überlegen, was wir eigentlich mit unserem Leben anfangen wollen. Aber jetzt …«
    Sie sprach den Satz nicht zu Ende – warum auch, wenn er die Worte genauso gut in seinem Kopf hören konnte: Jetzt, wo wir das Geld haben …
    Dieselbe Idee, begriff Tom, war ihm heute Morgen gekommen. Als er in dieser bescheuerten Sitzung hockte und Prügel einstecken musste, die er nicht verdiente, hatte er sich mit dem Gedanken an das Geld beruhigt. Gut, er hatte sich gegen diesen Ausweg entschieden, aber ihn hatte man ja auch nicht rausgeworfen.
    »Ich werd mir schon einen anderen Job suchen«, sagte Anna. »Ich will ja nicht zu Hause sitzen und Bonbons lutschen. Aber jetzt kann ich mir Zeit lassen und rausfinden, was ich überhaupt machen will. Vielleicht als Lehrerin arbeiten oder Krankenschwester lernen … Ich will, dass meine Arbeit etwas bedeutet, verstehst du? Stell dir vor, wie viel besser alles sein wird, jetzt, wo wir keine Geldsorgen mehr haben. Wir können mehr Zeit miteinander verbringen, wir können wieder die Menschen sein, die wir immer sein wollten. Wir zwei gegen den Rest der Welt. Wie heute Abend.« Sie lächelte, fasste über den Tisch und legte ihre Hand auf seine. Ihre schmalen Finger fühlten sich kühl an, der Diamant auf ihrem Ring pulsierte im Kerzenlicht. »Sogar für die Schwangerschaft wird es gut sein. Stress ist eines der Haupthindernisse. Wenn ich glücklicher und entspannter bin, stehen die Chancen viel besser. Jetzt könnte sich alles zum Guten wenden, Baby.«
    Toms Gedanken rasten im Kreis. Er konnte alles nachvollziehen, was sie sagte. Er wusste, dass sie schon lange keine Freude mehr an ihrer Arbeit hatte, dass sie nur noch wegen der Hypothek hinging, wegen der Krankenversicherung, wegen der Rechnungen, die jede Woche eintrudelten … Sie hatte die Gegenwart der Zukunft geopfert, genau wie er.
    Und mein Gott, wie sie heute Abend strahlte und lachte – dabei hatte er schon befürchtet, dieses Strahlen wäre für immer verloren …
    Tom dachte an den Mann im Anzug und an seinen Leibwächter, an die feuchten Lippen, die weißen Zähne und die große schwarze Pistole. Er dachte an seinen Anruf bei Detective Halden, an die Nachricht auf dem Anrufbeantworter, die er nicht mehr zurücknehmen konnte. Er musste ihr die Wahrheit sagen, er musste es einfach tun. Und wenn es sie umbrachte.
    »Was denkst du?« Der Kerzenschein zeichnete Annas Gesicht nach, den sanft geschwungenen Wangenknochen, die zarte Mulde an ihrem Hals. Tom erinnerte sich, wie er diese Mulde einmal geküsst und gesagt hatte, am liebsten würde er dort ein Zelt aufschlagen, um den Rest seines Lebens darin zu verbringen. Er wusste noch, wie sie gelacht hatte, wie sie sich an ihn gelehnt und gelacht hatte.
    »Tom?« Annas Lippen öffneten sich leicht, als wollte sie lächeln – oder weinen.
    »Ich finde es ganz toll«, sagte er und drückte ihre Hand.
     

12
     
    Die Leiter war schmal und wackelig und unglaublich hoch, und er stand ganz oben. Bei jedem Atemzug schwankte das Ding, und wenn er das Gewicht verlagerte, um die Bewegung auszugleichen, schwankte es noch stärker. Es roch nach Rauch. Er presste die Hände gegen die Decke, aber dadurch neigte sich die Leiter nur noch weiter zur Seite. Ein langgezogenes, knarrendes Zittern lief durch seinen ganzen Körper, das Holz ächzte – und die Welt kippte nach rechts. Er versuchte, irgendeinen Halt zu erhaschen, seine Finger verkrampften sich und glitschten von der Wand ab, doch es war nicht aufzuhalten. Die Leiter stürzte hinab in die Dunkelheit.
    Und als er fiel, als er alle Hoffnung aufgab, als seine Waden und sein Becken in Erwartung des Aufpralls bebten, ja sogar, als er sich von der Leiter löste, spürte er tief in seinem Inneren, irgendwo im Mittelpunkt der Angst, eine Art Erleichterung.
    Tom riss die Augen auf. Der Kissenbezug war nassgeschwitzt. Anna lag neben ihm, ihr schläfriger Atem verströmte einen säuerlichen Geruch. Tom atmete tief ein, drehte das Kopfkissen um und legte sich auf die Seite.
    Man muss kein Genie sein, um diesen Traum zu interpretieren.
    Nach dem Abendessen hatten sie ein Taxi nach Hause genommen. Anna hatte seine Hand gefasst und die ganze Rückfahrt über festgehalten, während sie still in sich hinein lächelte. Tom hatte das Fenster geöffnet, und das Rauschen der Luft, die verschwommenen Lichter der Stadt und der sanfte Druck ihrer Hand hatten ihn für

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