Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
Erst als das Scherengitter sich wieder geöffnet hatte und beide in Zyraccs eigentliches Reich traten, begann er zu berichten: »Der Mensch amüsiert sich auf der Plaza, Herr.«
Zyracc lachte trocken. »Es hat nicht den Anschein, als bemühe er sich sonderlich, die Drudel zu finden.«
Der Rabe schüttelte verächtlich sein schwarz gefiedertes Haupt. »Der Color und Aqullas Tochter sind weiter bei ihm, und ein Blauglunz hängt an ihren Fersen.«
»Also stellt er keine Gefahr dar«, stellte Zyracc fest.
»Da ist vielleicht etwas …«, krächzte der Wächter. Vorsorglich flatterte er einige Meter weiter auf die Lehne eines schweren Eichenstuhls, dessen Arme am vorderen Ende klauenartig zwei gläserne Kugeln umfassten.
»Sprich!«, befahl sein Gebieter.
»Er ist gelaufen, Herr.«
Ungeduldig hob Zyracc die Brauen.
»Schneller als der Color. Er war … ich …« Corax rang sichtlich mit sich und rutschte unruhig auf der Stuhllehne herum. »Ich habe ihn erst auf der Plaza wiederfinden können. Er war zu schnell«, brachte er schließlich heraus.
Zyraccs Augen weiteten sich für einen Moment. Dann begann er, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, auf und ab zu schreiten.
Corax ließ seinen Gebieter keinen Atemzug lang aus den Augen. Wenn er Angst hatte, klang seine Stimme in besonderem Maße krächzig. »Er ist ein Mensch, Herr. Vielleicht können Menschen so schnell laufen.«
»Blödsinn!«, schrie Zyracc und blieb abrupt vor seinem Wächter stehen. »Menschen sind unfähige, einfältige Wesen, die nur noch deswegen existieren, weil sie sich vermehren wie die Gobbels! Ihre einzige Gabe besteht darin, dass sie genau wie die Mopsmännchen ihre erbärmliche Erscheinung durch Erfindungsreichtum aufzuwerten suchen!«
»Wieso ist er dann schneller als ein Color?«, krächzte Corax, die gelben Augen ängstlich nach oben gerichtet.
»Genau das ist hier die Frage …«
Zyracc hatte sich beruhigt und war dazu übergegangen, seinem Wächter den Kopf zu kraulen, der sich vorsichtig an ihn schmiegte.
»Bisher habe ich an Darius‘ Verstand gezweifelt, wobei er mir nie so brillant erschienen war, wie man es ihm nachsagt. Einen Jungmenschen ins Reich zu holen und nach der Drudel suchen zu lassen! Aber vielleicht geht es ihm nicht nur darum, die Drudel zu finden«. Vielleicht glaubt er tatsächlich an den Erlöser … vielleicht stellt er den Menschen auf die Probe! Gedankenverloren strichen die dünnen Finger über das glänzende Gefieder des Vogels. »Warum auch immer dieser Mensch mehr Fähigkeiten als seine kümmerlichen Artgenossen zu haben scheint, wenn Darius an ihn als Erlöser glaubt, könnten die anderen es auch tun.«
Corax flatterte aufgescheucht mit den Flügeln. »Der Erlöser? Wird er uns in die Oberwelt führen, Herr?«
Zyracc stieß den Raben wütend von der Stuhllehne und schnellte zu einem Regal, das mit tropfenförmigen Ampullen, getrockneten Wurzeln, Kräutern und Tierfellen gefüllt war. Während seine Hände geschickt einige Essenzen vermischten, sprach er wie im Wahn zu sich selbst: »Ich! Ich werde der Erlöser sein, der die obere Welt von der menschlichen Seuche befreit! Und sobald ich die Drudel in meinen Händen halte, werde ich auch wissen wie!«
Corax lag rittlings auf dem kalten Schieferboden und versuchte vergebens zu flattern. Zyracc beachtete ihn nicht. Stattdessen zog er aus einer metallbeschlagenen Kiste einen fast bis zur Unkenntlichkeit geschrumpften Kopf, dessen strohiger Schopf an einigen Stellen Löcher aufwies. Zyracc trennte vorsichtig ein weiteres Haar ab und gab es in die Essenz.
»Es wird sich zeigen, wie weit die Fähigkeiten des Menschen gehen. Es wäre ein Leichtes, ihn zu töten«, dachte er laut, während er wartete, dass die milchige Flüssigkeit klar wurde. »Es wäre eine willkommene Geste für meine Homorden. Es würde sie bei Laune halten … eine schwarze Opfermesse, Corax. Was hältst du davon?«
Zyracc schritt auf den hilflosen Vogel zu und schwenkte die Flüssigkeit, bevor er einen Tropfen auf sein Gefieder gab. Das Schwarz des Flügels verblich im selben Augenblick. Blitzschnell dehnte sich auch der Rest seines Körpers zu einer hässlich grauen Haut, die sich in beachtliche Ausmaße streckte. Der kleine Vogelkopf schwoll zu einem glatzköpfigen Ei, und unter Zucken bildeten sich dort, wo eben noch ein Schnabel gesessen hatten, Nase und Mund, der nun statt eines Krächzens heisere Schreie ausstieß. Nur die gelben Augen hatte die nackte Gestalt
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