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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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bin ich jedoch in jenem gesegneten Alter, in dem keine Völlerei bewirkt, daß ich den Gürtel ein Loch weiter schnallen muß.
    Im Gästezimmer im ersten Stock, das als mein Arbeitszimmer dient, setzte ich mich bei Kerzenschein an den Schreibtisch und betrachtete ein paar Minuten lang zwei eingerahmte Fotos, das eine von meiner Mutter, das andere von Dad. Ihr Gesicht war voller Freundlichkeit und Intelligenz.
    Sein Gesicht war voller Freundlichkeit und Weisheit.
    Mein eigenes Gesicht habe ich nur selten in vollem Licht gesehen. Die wenigen Male, die ich an einem hellen Ort vor einem Spiegel stand, habe ich nichts in meinem Gesicht erkennen können. Das verwirrt mich immer. Wie können die Gesichter meiner Eltern vor solchen Tugenden leuchten und meines so rätselhaft sein?
    Haben ihre Spiegel ihnen auch nur Geheimnisse gezeigt?
    Ich glaube nicht.
    Nun ja, ich finde Trost in der Erkenntnis, daß Sasha mich liebt - vielleicht so sehr, wie sie das Kochen liebt, vielleicht sogar, wie sie eine gute Aerobic-Übung liebt. Ich wage nicht zu behaupten, daß sie mich so sehr schätzt wie Bücher und Musik. Ich hoffe es zumindest. In meinem Arbeitszimmer steht zwischen Hunderten von Lyrikbänden und Nachschlagewerken - meine Sammlung und die meines Vaters - ein dickes lateinisches Wörterbuch.
    Ich schlug das Wort für Bier nach. Carpe cerevisiam, hatte Bobby gesagt. Nutze das Bier. Cerevisiam schien richtig zu sein.
    Ich war schon so lange mit Bobby befreundet, um zu wissen, daß er niemals einen Lateinkurs absolviert hatte. Deshalb war ich gerührt. Die offensichtliche Mühe, die er sich gemacht hatte, um mich zu verspotten, war ein Beweis wahrer Freundschaft.
    Ich klappte das Wörterbuch zu und schob es neben ein Exemplar des Buches, das ich über mein Leben als Kind der Dunkelheit geschrieben habe. Es war vor etwa vier Jahren in den gesamten USA ein Bestseller gewesen. Damals hatte ich geglaubt, den Sinn meines Lebens zu kennen. Aber das war vor der Entdeckung gewesen, daß meine Mutter mich aus inniger Mutterliebe und dem Drang, mich von meiner Behinderung zu befreien, unabsichtlich zum Werbeplakat für den Weltuntergang gemacht hatte.
    Ich hatte dieses Buch seit zwei Jahren nicht mehr geöffnet.
    Es hätte eigentlich auf einem der Regale hinter meinem Schreibtisch stehen sollen. Ich vermutete, daß Sasha einen Blick hineingeworfen und es dann nicht wieder an Ort und Stelle zurückgeschoben hatte.
    Auf dem Schreibtisch stand auch eine dekorative Blechdose, die mit den Gesichtern von Hunden bemalt war. In der Mitte des Deckels kann man folgende Zeilen von Elizabeth Barrett Browning lesen: Deshalb will ich diesen Hund Mit Liebe und mit Ernst Nur loben und ihm Gunst erweisen: Die Hand auf seinen Kopf ihm legen, Ihm allen Segen geben, Niemals aus dem Haus ihn weisen.
    Die Blechdose war ein Geschenk von meiner Mutter, das sie mir an dem Tag machte, an dem sie Orson nach Hause brachte. Ich bewahre spezielle Hundekuchen darin auf, die Orson ganz besonders mag, und von Zeit zu Zeit gebe ich ihm ein paar, nicht als Belohnung, weil er etwa ein Kunststück erlernt hat, denn ich bringe ihm keine Kunststückchen bei, und nicht als Unterstützung bei irgendeiner Ausbildung, denn ich bilde ihn nicht aus, sondern einfach, weil ihr Geschmack ihn glücklich macht.
    Als meine Mutter Orson mit zu uns nach Hause brachte, wußte ich nicht, wie außergewöhnlich er war. Sie bewahrte dieses Geheimnis bis lange nach ihrem Tod, bis nach dem Tod meines Vaters. Als sie mir die Dose gab, sagte sie: »Ich weiß, du wirst ihm Liebe schenken, Chris. Aber hab auch Mitleid mit ihm, wenn er es braucht - und er wird es brauchen. Sein Leben ist nicht weniger schwierig als deins.«
    Damals glaubte ich, sie würde damit nichts weiter sagen wollen, als daß Tiere - genau wie wir - der Furcht und dem Leiden dieser Welt unterworfen sind. Nun weiß ich, daß in ihren Worten tiefere und kompliziertere Schichten der Bedeutung lagen.
    Ich streckte die Hand nach der Dose aus, um ihr Gewicht zu überprüfen, weil ich sichergehen wollte, daß sie bei Orsons triumphaler Rückkehr mit Leckerbissen gefüllt war. Meine Hand fing aber so heftig zu zittern an, daß ich die Dose dann doch nicht anfaßte.
    Ich faltete die Hände auf dem Schreibtisch, eine über der anderen. Als ich zu den harten, weißen Spitzen meiner Knöchel hinabstarrte, wurde mir klar, daß ich genau die Haltung eingenommen hatte, in der ich Lilly Wing zuerst gesehen hatte, als Bobby und ich aus Wyvern

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