Im Bann der Dunkelheit
Tag legte. Roger und Marie schienen einfach nicht nach Kalifornien zu passen und erst recht nicht in dieses Jahrhundert, dennoch fuhren sie einen roten Jaguar, waren beim Besuch entsetzlich primitiver Actionfilme mit hohem Budget gesehen worden und spielten ihre Rolle als Bürger des angehenden Millenniums recht gut.
Sasha rief durch die offene Küchentür nach den Stanwyks.
Rumpelmauser hatte die Küche, ohne innezuhalten, durchquert und war tiefer ins Haus vorgedrungen.
Als Sasha auch auf ihr drittes »Roger, Marie, hallo!« keine Antwort erhielt, zog sie die .38er aus dem Schulterhalfter und trat ein.
Bobby, Roosevelt und ich folgten ihr. Hätte Sasha einen weiten Rock getragen, hätten wir uns möglicherweise dahinter versteckt, aber mit der Smith & Wesson waren wir wesentlich zufriedener.
Von der Veranda aus war kein Geräusch aus dem Haus zu hören gewesen. Jetzt, wo wir durch die Küche gingen, hörten wir Stimmen aus den vorderen Räumen. Sie waren offensichtlich nicht an uns gerichtet.
Wir hielten inne und horchten, konnten aber nichts verstehen. Als auf einmal Musik einsetzte, wurde uns schnell klar, daß wir keine Stimmen lebender Menschen, sondern eine Fernseh- oder Radiosendung hörten.
Wie Sasha ins Eßzimmer vordrang, war sehr lehrreich und äußerst interessant. Sie hielt die Waffe mit beiden Händen.
Die Arme waagerecht ausgestreckt. Die Waffe knapp unterhalb Augenhöhe. Sie stürmte zügig durch die Tür, machte einen Ausfallschritt nach links und hielt sich mit dem Rücken an der Wand. Nachdem das Blickfeld wieder frei war, konnte man sehen, wie sie die Arme hin- und herschwang, um mit der .38er das ganze Zimmer zu sichern. Sie verhielt sich so instinktsicher und professionell wie in ihrem Job als Radiostimme.
Wahrscheinlich hatte sie im Laufe der Jahre unzählige Polizeiserien im Fernsehen verfolgt. Genau.
»Alles in Ordnung«, flüsterte sie.
Große, prunkvolle Geschirrschränke ragten hoch auf und schienen sich von den Wänden auf uns stürzen zu wollen.
Schätze aus Porzellan und Silber schimmerten düster hinter Bleiglastüren mit geschliffenen Scheiben. Der Kristalleuchter war nicht eingeschaltet, aber die Spiegelungen von Kerzenflammen spielten über seine Perlenketten und die geschliffenen Kanten des Behangs.
Mitten auf dem Eßzimmertisch, von acht oder zehn Kerzen umringt, befand sich eine große Bowlenschüssel, die zur Hälfte mit Fruchtsaft gefüllt war, wie es schien. Auf einer Seite des Tischs standen saubere Trinkgläser, und über den Tisch verstreut lagen mehrere leere Plastikflaschen eines Medikaments.
Die Beleuchtung war zu schwach, um die Etiketten der Flaschen aus der Ferne lesen zu können, aber keiner von uns wollte etwas berühren. Hier wohnt der Tod, hatte die Katze gesagt, und vielleicht war es das, was uns, seit wir einen Fuß in dieses Haus gesetzt hatten, die Vorstellung gab, daß dies der Schauplatz eines Verbrechens sein mußte. Nachdem wir das Arrangement auf dem Eßzimmertisch betrachtet hatten, blickten wir uns gegenseitig an, und es war unverkennbar, daß wir alle einen bestimmten Verdacht hinsichtlich der Natur des Verbrechens hatten, obwohl niemand ihn aussprach.
Ich hätte meine Taschenlampe benutzen können, aber ich wollte keine unwillkommene Aufmerksamkeit auf uns lenken. Unter den gegenwärtigen Umständen wäre allerdings jede Aufmerksamkeit unwillkommen. Außerdem war der Name des Medikaments nicht wichtig. Sasha führte uns in das große Wohnzimmer, das von einem Fernsehbildschirm beleuchtet wurde, der in einen kunstvollen französischen Schrank mit schwarzer Lackierung eingelassen war. Selbst im schwachen Licht konnte ich erkennen, daß der Raum überfüllt wie ein Autofriedhof war, nur eben nicht mit Autowracks, sondern mit viktorianischem Krempel: gedrechselte und kunstvoll bemalte Neorokokomöbel, üppig gemusterte Polsterbezüge aus Brokat, Tapeten mit Filigrandekor in gotischem Stil, schwere Samtvorhänge mit Kaskaden aus gefransten Borten, gekrönt von soliden Querbehängen in kunstvoller gotischer Gestaltung, ein ägyptisches Sofa mit Intarsienarbeiten und Sitzkissen aus Damast, maurische Lampen, deren Perlenschirme von schwarzen Cherubim mit goldenen Turbanen gehalten wurden, und Nippsachen, die sich auf allen Regalen und Tischen drängten.
Zwischen all diesen Bergen von Dekor wirkten die Leichen beinahe wie weitere dekorative Einrichtungsgegenstände.
Selbst im flackernden Licht des Fernsehers konnten wir einen Mann erkennen,
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