Im Bann der Dunkelheit
gehabt als hier im Stanwyk-Mausoleum. Ich hatte damals zunächst vermutet, daß auch er im Werden war.
Gegen Ende unserer Begegnung hatte ich aber den Eindruck gewonnen, daß er nicht von etwas Unheimlichem geplagt wurde, sondern vielmehr von einer herzzerreißenden Sorge um seine vermißte Schwester und von seiner religiösen Verzweiflung.
Jetzt suchte ich in seinen Augen genauso wie damals wieder nach einem unnatürlichen gelben Leuchten, aber ich fand nichts dergleichen.
Die Zeichentrickfarben aus dem Fernseher warfen Muster auf sein Gesicht, so daß es schien, als betrachtete ich ihn durch ein sich ständig veränderndes Buntglasfenster, auf dem verzerrte Gestalten von Tieren statt Heiligen zu sehen waren. Dieses unangemessene und merkwürdige Licht flackerte ebenfalls in seinen Augen, aber es hätte bestenfalls den schwächsten und flüchtigsten Schimmer eines animalischen Augenleuchtens überspielen können. Er zupfte noch immer an dem Handschuh herum und sprach jetzt mit einer Stimme weiter, die so gespannt war wie singende Stromleitungen im Sturm, während ihm der Schweiß auf dem Gesicht glänzte: »Sie haben einen Ausweg gefunden, auch wenn es der falsche Weg war, auch wenn es die schlimmste Sünde war. Aber ich kann ihren Weg nicht akzeptieren, meine Angst ist zu groß, denn man darf die Seele nicht vergessen, es gibt die unsterbliche Seele, und ich glaube mehr an die Seele als an die Erlösung vom Leid, und deswegen gibt es diesen Ausweg für mich nicht. Meine Gedanken sind verdorben. Schreckliche Gedanken. Träume. Träume voller Blut. In diesen Träumen verspeise ich schlagende Herzen, schlage ich die Zähne in die Kehlen von Frauen, und ich vergewaltige... kleine Kinder. Wenn ich aufwache, fühle ich mich widerlich, aber gleichzeitig... gleichzeitig erregt. Also gibt es auch keinen Ausweg für mich.«
Plötzlich streifte er den Handschuh ab. Das, was darunter zum Vorschein kam, war keine menschliche Hand mehr. Es war eine Hand, die dabei war, zu etwas anderem zu werden, obwohl die Färbung und Beschaffenheit der Haut und die Anordnung der Finger noch immer auf ihre menschliche Herkunft hindeuteten. Es waren allerdings eher fingerähnliche Klauen, wenn auch keine richtigen Klauen, denn jede schien gespalten - oder zumindest im Begriff zu sein, sich zu spalten ., um Gliedmaßen hervorzubringen, die den gezahnten Scheren von Hummern ähnelten.
»Ich kann nur noch auf Jesus vertrauen«, sagte der Priester.
Sein Gesicht war von Tränen überströmt, die zweifellos genauso bitter waren wie der Essig im Schwamm, den man dem leidenden Erlöser gereicht hatte.
»Ich glaube. Ich glaube an die Gnade Christi. Ja, ich glaube. Ich glaube an die Gnade Christi.«
Gelbes Licht loderte in seinen Augen.
Es loderte. Father Tom ging geradewegs auf mich los, vielleicht nur, weil ich zwischen ihm und der Tür stand, vielleicht aber auch, weil meine Mutter Wisteria Jane Snow war. Schließlich hatte sie uns nicht nur Wunder wie Orson und Rumpelmauser gegeben, sondern durch ihr Lebenswerk auch das zuckende Ding am linken Arm des Priesters ermöglicht. Obwohl seine menschliche Seite fraglos an die unsterbliche Seite und die tröstende Gnade Christi glaubte, war es verständlich, daß jetzt eine andere, dunklere Seite von ihm eher der heilenden Kraft der blutigen Rache vertraute.
Ganz gleich, was er außerdem noch sein mochte, Father Tom war und blieb ein Priester, und ich war nicht dazu erzogen worden, meine Hand gegen Priester zu erheben oder überhaupt gegen Menschen, die vor Verzweiflung wahnsinnig waren. Respekt, Mitgefühl und achtundzwanzig Jahre elterlicher Führung setzten sich über meinen Überlebensinstinkt hinweg - was mich sicherlich zu einer schweren Enttäuschung für Darwin machte ., und statt Father Toms Angriff mit aggressiven Maßnahmen zu begegnen, hielt ich mir lediglich die Hände vors Gesicht und versuchte, ihm auszuweichen.
Er war kein erfahrener Kämpfer. Wie ein Grundschüler bei einer Schulhofprügelei warf er sich wild gegen mich, setzte seinen gesamten Körper als Waffe ein und rammte mich mit viel mehr Wucht, als man von einem gewöhnlichen Priester erwarten würde - selbst von einem Jesuiten.
Ich wurde zurückgeworfen und schlug gegen einen hohen Schrank. Ein Türgriff bohrte sich mir knapp unter dem linken Schulterblatt in den Rücken.
Father Tom prügelte mit der rechten Faust auf mich ein, aber ich machte mir viel größere Sorgen wegen seiner linken Hand. Ich hatte keine Ahnung,
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