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Im Bann der Dunkelheit

Im Bann der Dunkelheit

Titel: Im Bann der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wie scharf die gezahnten Ränder dieser kleinen Scheren sein würden. Um ehrlich zu sein, ich wollte von diesem Ding, das so unrein wirkte, noch nicht einmal berührt werden. Es wirkte nicht im hygienischen Sinn unrein, sondern unrein in dem Sinn, wie es der gespaltene Huf oder der haarlose Ringelschwanz eines Dämons wäre.
    Während er auf mich einschlug, stieß Father Tom unablässig sein religiöses Glaubensbekenntnis aus: »Ich glaube an die Gnade Christi, an die Gnade Christi, an die Gnade, ich glaube an die Gnade Christi!«
    Sein Speichel sprühte mir ins Gesicht, und sein Atem roch beunruhigend süßlich nach Pfefferminz.
    Dieses unaufhörliche Psalmodieren sollte weder mich noch irgendwen sonst - nicht einmal Gott - vom unerschütterlichen Glauben des Priesters überzeugen. Er versuchte viel mehr, sich selbst von diesem Glauben zu überzeugen, sich ins Gedächtnis zu rufen, daß es noch Hoffnung für ihn gab, und daß er diese Hoffnung benutzen konnte, um seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen. Trotz des bösen schwefelgelben Leuchtens in den Augen, trotz der Mordlust, die unheimliche Kräfte in seinen untrainierten Körper pumpte, erkannte ich in ihm immer noch den aufrichtigen und verletzlichen Mann Gottes, der darum kämpfte, den wütenden Zorn in sich zu unterdrücken und einen Rückweg zur Würde zu finden.
    Schreiend und fluchend packten Bobby und Roosevelt den Priester und versuchten, ihn von mir fortzureißen. Doch Father Tom hielt mich fest umschlungen und trat nach ihnen, rammte ihnen die Ellbogen in die Bäuche und Rippen.
    Er hatte wie gesagt nicht den Eindruck eines erfahrenen Kämpfers gemacht, als er sich auf mich gestürzt hatte, aber er schien schnell dazuzulernen. Oder er verlor immer mehr den Kampf gegen sein neues werdendes Ich, gegen das wilde Tier in ihm, das alles über das Kämpfen und Töten wußte.
    Ich spürte, wie etwas an meinem Pullover zerrte, und war davon überzeugt, daß es die verhaßte Klaue war. Die Zähnchen der Schneiden hatten sich im Baumwollstoff verhakt.
    Mein Ekel ließ mich würgen, während ich das Handgelenk des Priesters packte, um ihn zurückzuhalten. Die Haut fühlte sich ungewöhnlich heiß und schmierig an, so widerlich wie eine Leiche im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung.
    Stellenweise war sein Fleisch spürbar weich, während sich die Haut an anderen Stellen verhärtet hatte, als hätte sich hier und dort die Vorstufe zu einem Panzer gebildet.
    Unser irrwitziges Ringen hatte mich bislang auf morbide Weise sogar amüsiert. Es kam mir vor wie ein Erlebnis, über das man zwar momentan nicht lachen kann, aber von dem man weiß, daß man es später bei einem Bier oder am Strand tun wird: über diesen Amateurringkampf mit einem korpulenten Geistlichen in einem chintzüberladenen Schlafzimmer, über diese Bugs Bunny-Koproduktion von Chuck Jones und H. P. Lovecraft. Doch plötzlich erschien ein glückliches Ende gar nicht mehr so sicher wie noch vor wenigen Augenblicken, und es war auch nicht mehr amüsant, nicht einmal annähernd, nicht einmal auf morbide Weise.
    Sein Handgelenk fühlte sich nicht mehr wie ein Handgelenk an, das man an einem Skelett in der Biologiestunde untersuchen kann, sondern eher wie etwas, das man vielleicht im fortgeschrittenen Delirium tremens zu Gesicht bekam, während man nach zehn Flaschen Bourbon seinen Rausch ausnüchterte. Die gesamte Hand drehte sich an der Wurzel auf eine Art und Weise nach hinten, wie das keine menschliche Hand bewerkstelligen konnte, als wäre sie plötzlich an einem Kugelgelenk befestigt. Die Scheren schnappten nach meinen Fingern und zwangen mich dazu, den Priester loszulassen, bevor er die Gelegenheit erhielt, mich zu verletzen.
    Obwohl es mir vorkam, als hätte ich lange genug mit dem Priester gerungen, um mir eine Tätowierung seines Namens auf dem Bizeps verdient zu haben, währte sein Tollwutanfall erst eine halbe Minute, als Roosevelt ihn endlich von mir losreißen konnte. Unser normalerweise sanftmütiger Pferdeflüsterer sprach mit dem Tier in Father Tom, indem er ihn vom Boden hob und durch den Raum warf, als wäre dieser nicht schwerer als der wahre Tod, der schließlich nur aus Knochen in einer Kutte besteht.
    Mit wehender Soutane krachte Father Tom gegen das Fußteil des Betts und ließ das Selbstmörderehepaar auf singenden Sprungfedern wie in postmortalem Entzücken wippen. Er stürzte mit dem Gesicht voran auf den Boden, sprang aber im nächsten Augenblick mit übermenschlicher

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