Im Bann der Dunkelheit
durch Verbrennen, durch Erfrieren, Ertrinken, Stromschlag, Vergiftung, Verhungern, Ersticken, Erdrosseln, Tod durch Schußverletzungen, durch Schläge mit stumpfen Gegenständen, durch spitze und scharfkantige Waffen. Nachdem ich dieses Buch ausgelesen hatte, war meine Faszination vom Tod überwunden... und meine Furcht davor. Die Fotos, die die Demütigung der Zersetzung darstellten, bewiesen, daß die Eigenschaften, die ich an geliebten Menschen schätze - Witz, Humor, Mut, Treue, Zuversicht, Mitleid, Barmherzigkeit ., letzten Endes nicht das Werk des Fleisches sind. Diese Dinge überdauern den Körper; sie leben in den Erinnerungen von Familienangehörigen und Freunden weiter, leben auf ewig weiter, indem sie andere anregen, freundlich und liebevoll zu sein. Humor, Vertrauen, Mut, Mitleid - diese Eigenschaften verwesen und verschwinden nicht. Sie sind unempfänglich für Bakterien, stärker als Zeit oder Schwerkraft; sie haben ihren Ursprung in etwas weniger Vergänglichem als Blut und Knochen, in einer Seele, die überdauern wird.
Obwohl ich glaube, daß ich über mein jetziges Leben hinaus leben werde und die, die ich liebe, irgendwann auch dort sein werden, wohin ich gehe, habe ich trotzdem noch Angst davor, daß sie vor mir gehen und mich allein lassen. Manchmal erwache ich aus einem Alptraum, in dem ich der einzige noch lebende Mensch auf Erden bin; ich liege zitternd im Bett, habe Angst davor, nach Sasha zu rufen oder das Telefon zu benutzen, weil ich mir vorstelle, daß der Traum Wirklichkeit geworden ist und niemand abheben wird.
»Schwer zu glauben, daß er in drei oder vier Tagen so weit gekommen sein soll«, sagte Bobby.
»Wenn man den Elementen ausgesetzt ist, kann es nach zwei Wochen zur vollständigen Skelettierung kommen. Unter den richtigen Umständen sogar in elf, zwölf Tagen.«
»Das heißt also, ich bin zu jedem Zeitpunkt... nur zwei Wochen davon entfernt, ein Skelett zu sein?«
»Ein niederschmetternder Gedanke, was?«
»Sehr niederschmetternd.«
Nachdem ich mehr von dem Toten gesehen hatte, als mir lieb war, richtete ich die Taschenlampe auf die Gegenstände, die er offensichtlich um sich herum auf dem Boden angeordnet hatte, bevor er abgedrückt hatte. Ein in Kalifornien ausgestellter Führerschein mit Foto. Die Taschenbuchausgabe einer Bibel. Ein ganz normaler weißer Umschlag, auf dem allerdings nichts geschrieben stand, weder mit Hand noch mit Maschine. Vier Schnappschüsse in einer ordentlichen Reihe.
Ein kleines rubinrotes Glas von der Art, die normalerweise Votivkerzen enthält; in diesem war allerdings keine.
Ich hatte gelernt, mit Brechreiz umzugehen, indem ich mich zwang, an den Geruch von Rosen zu denken. So kniete ich mich nieder, um mir das Foto auf dem Führerschein näher anzusehen. Trotz der Zersetzung wies das Gesicht der Leiche ausreichend Ähnlichkeit mit dem auf dem Führerschein auf, um mich davon zu überzeugen, daß es sich um ein und dieselbe Person handelte.
»Leland Anthony Delacroix«, sagte ich.
»Kenne ich nicht.«
»Fünfunddreißig Jahre alt.«
»Nicht mehr.«
»Wohnhaft in Monterey.«
»Warum ist er hierhergekommen, um zu sterben?« sagte Bobby.
In der Hoffnung, eine Antwort zu finden, richtete ich das Licht auf die vier Schnappschüsse.
Der erste zeigte eine hübsche blonde Frau von vielleicht dreißig Jahren, die weiße Shorts und eine helle, gelbe Bluse trug und vor einem Hintergrund aus blauem Himmel, blauem Wasser und Segelschiffen auf dem Dock eines Jachthafens stand. Ihr schelmisches Lächeln war bezaubernd.
Der zweite war offensichtlich an einem anderen Tag und an einem anderen Ort aufgenommen worden. Dieselbe Frau - nun in einer Bluse mit einem Muster aus großen Tupfen und Leland Delacroix saßen nebeneinander an einem Picknicktisch aus Rotholz. Er hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt, und sie lächelte ihn an, während er in die Kamera sah.
Delacroix schien glücklich zu sein, und die blonde Frau wirkte unglaublich verliebt.
»Seine Frau«, sagte Bobby.
»Vielleicht.«
»Sie trägt einen Ehering.«
Der dritte Schnappschuß zeigte zwei Kinder: einen Jungen von etwa sechs Jahren und ein elfenhaftes Mädchen, das nicht älter als vier sein konnte. In Badehosen standen sie neben einem aufblasbaren Planschbecken und grinsten in die Kamera.
»Wollte in seiner Todesstunde wahrscheinlich von Erinnerungen an seine Familie umgeben sein«, sagte Bobby.
Das vierte Foto schien diese Interpretation zu unterstützen.
Die blonde Frau,
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