Im Bann der Engel
schon recht abgegriffene Liste entgegen.
»Ja, ich weiß, das Protokoll. Es muss in allen Details befolgt werden. Aber ist unsere Konzentration nicht wichtiger? Ich habe Kopfschmerzen.«
»Dann musst du dich eben zusammenreißen. Was ist denn los mit dir?«, sagte Margaret kalt. Elena war noch nie sonderlich gut mit ihr ausgekommen. Margarets Herz war hart wie Stein, sie zeigte nie Mitleid, am wenigsten mit ihren Kollegen.
»Wer wird uns unterstützen?«, fragte Elena, um vom Thema Räucherstäbchen abzulenken.
Margaret zückte ein weiteres Blatt Papier. »Wir haben Geoffrey, Matthew und Justine.«
Elena runzelte die Stirn. Matthew und Justine stellten kein Problem dar. Geoffrey allerdings war noch recht neu und lief durch sein unruhiges Energiemuster stets Gefahr, die anderen aus der Trance zu reißen. Elena wollte gegenüber Margaret nicht zugeben, dass sie dieses Mal Angst vor der Sitzung hatte. Um auf andere Gedanken zu kommen, inspizierte sie die Gerätschaften. Der Raum war karg eingerichtet, lediglich ein kleiner Holztisch stand an der Wand, auf dem die Räucherstäbchen in der Glasvase glommen. Auf dem Boden lagen, in einer Linie ausgerichtet, Matten. Fünf an der Zahl. Die Hüllen bestanden aus einem grob gewebten Leinenstoff, gefüllt waren sie mit Rosshaar. Vor der Matte in der Mitte stand ein kniehoher Metalltisch, ähnlich denen, die auch von Leichenwäschern benutzt wurden. Bald schon würde Timor Waits darauf liegen. Ob er die Transformation überstehen würde, hing nunmehr von Elena ab. Zumindest in den Augen vom Boss. Das Herzstück des Arrangements bildete der Transformator, ein etwa mannhoher Metallkasten, der auf der anderen Seite des Tisches stand. Kabel führten aus der Verkleidung. Einige davon lagen auf dem Tisch, die anderen mündeten in den Metallreifen, die von den Sitzungsteilnehmern um die Stirn getragen wurden. Die Ringe dienten dazu, die Energie einzufangen, die der Transformator synchronisierte und um ein Vielfaches verstärkte. Die ausgesandten Wellen schickte dieser zu dem werdenden Engel. Vereinfacht ausgedrückt. Bei den Sitzungen nahm Elena stets die mittlere Position ein. Sie musste das Versuchsobjekt überwachen und die Energie der anderen so lenken, dass aus dem Menschen ein Engel wurde. Geleitet wurden die Sitzungen allerdings von Margaret, die gleichzeitig als Kontrollorgan fungierte und einschritt, wenn das Ritual aus dem Gefüge geriet. Lachend kamen Geoffrey, Justine und Matthew in den Raum. Sie zogen die Schuhe aus und ließen sich mit überkreuzten Beinen auf den gepolsterten Matten nieder.
»Und dann hat sie ihr doch tatsächlich den Drink ins Gesicht geschüttet«, beendete Justine anscheinend ihre draußen begonnene Geschichte.
»Recht geschieht ihr«, tat Matthew kund und zog an seinen Fußzehen, bis sie krachten. Dann gab er ein wohliges Seufzen von sich.
»Du bist ekelhaft«, kommentierte Justine das Knacken.
»Können wir endlich beginnen?«, funkelte Margaret die lebhafte Justine an.
Ruhe senkte sich über die Gruppe. Blicke wurden getauscht. Geoffrey zog eine Grimasse, als Margaret nicht hinsah. Justine kicherte erneut und tarnte das Geräusch als Husten.
Das ist nicht gut, dachte Elena und biss sich auf die Unterlippe. Die drei sind zu aufgedreht. Kein optimaler Einstieg. Sie wusste, dass Margaret sie mental durch das Programm peitschen würde. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Der bewusstlose Timor Waits wurde auf einer Rollbahre in den Raum gefahren. Die Flügel waren ihm bereits eingesetzt worden, dicke Verbände und Stützstreben aus Metall hielten das – für den Rücken – ungewohnte Gewicht. Elena wusste, dass die Wunden nach der Transformation binnen kürzester Zeit heilten.
Zwei Mitarbeiter des Labors hievten Timor Waits auf den Metalltisch und nickten Elena zu.
Elena schloss die Kabel an. Sie fühlte sich schlecht, weil sie die Freiwilligen angelogen hatte. Der Boss hatte es mit ihren neuen Engeln so eilig, dass die Vorbereitungszeit auf ein Minimum reduziert worden war. Und weniger Zeit verhieß größeres Risiko. Sie hoffte inständig, dass Timor Waits damit fertig wurde. Elena griff nach der Akte, die ihre ehemaligen Laborkollegen auf den Transformator gelegt hatten.
»Und?«, wollte Margaret wissen.
»Er hat die erhöhte Dosis Ambrosia gut angenommen. Wir können anfangen«, sagte Elena, während sie abwesend das Klemmbrett zur Seite legte. Noch immer war sie in Gedanken bei alldem, was schiefgehen konnte.
Sie nahmen ihre Positionen
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