Im Bann der Engel
Zukunft bringen mochte, wusste er nicht. Aber er suchte Sühne für seine Sünden. Er wollte büßen. Was er nicht wollte war, dass Elena Winterstone für ihn litt.
Als hätte sie seine düsteren Gedanken aufgefangen, fuhr sie aus dem Schlaf hoch und schrie.
»Es ist gut. Ich bin da«, murmelte er beruhigend und nahm sie vorsichtig, wegen seiner Flügel, in die Arme. Sie klammerte sich an ihn und schluchzte.
»Ich habe Angst. Es wird Tote geben, viele Tote. Und ich bin schuld.«
»Was redest du denn da? Niemand wird sterben.«
»Doch, ich weiß es«, schniefte Elena.
»Ich möchte es verstehen. Erzähl mir von eurem Projekt und was das für ein Vorfall war, über den nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird.«
»Woher weißt du davon?«
»Ich pflege immer noch meine Mahlzeiten in der Küche einzunehmen. Die Küche ist traditionell der Ort, an dem geredet wird. Offen und ohne Umschweife. Das sogenannte einfache Volk benutzt auch einfache Wörter.«
»Die Idee, Engel zu machen war anfangs tatsächlich nur eine von vielen. Madame Hazard gründete vor einigen Jahren einen Zirkel aus Okkultisten und lud ausgewählte Personen dazu ein. Damals war ihr Mann noch am Leben. Ein Patriarch allererster Güte. Sie verlangte Verschwiegenheit, Loyalität und kritisches Hinterfragen von uns. Sie hielt nichts von den Teegesellschaften, in denen ein wenig `Tische rücken` gespielt wird. Was sie wollte, war eine aufeinander eingespielte Gruppe von Gleichgesinnten.«
»Wie hast du sie kennengelernt?«
»Sie warb mich auf der Universität ab. Damals dachte sie noch, ich sei ein Mann.«
»Das kann ich mir bei dir nur schwer vorstellen«, sagte Amenatos und lächelte.
Elena verschlug es die Sprache. Amenatos fand sie weiblich? Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Bericht fortsetzte. »So ist das nun einmal. Die Türen der Bildung stehen nur den Männern offen. Frauen dürfen sich derweil mit Häkeln und Kinder kriegen vergnügen.« Elena hustete. Amenatos reichte ihr ein Glas Wasser. Dankbar trank sie und fuhr fort: »Ich fand sie beeindruckend. Es war ihr egal, ob ich ein Mann oder eine Frau war. Sie schien nicht einmal verwundert, als ich ihr meinen richtigen Namen offenbarte. Sie brauchte nicht lange, mich von ihren Plänen zu überzeugen. Kurz darauf starb ihr Mann. Die Fabrik gehörte nun ihr. Das untere Stockwerk wurde nicht genutzt, lediglich Wartungsrohre führten hindurch. Sie lud ein paar ausgewählte Kandidaten in den Keller der Fabrik ein und sprach mit uns über ihre Vorstellungen. Anfangs waren wir skeptisch. Ihr Konzept, magische Energien mit Technik zu verknüpfen, erschien uns absurd. Doch sie belehrte uns eines Besseren.«
»Lass mich raten, sie ist nicht nur eine Visionärin sondern auch eine Erfinderin, richtig?«
»Sie hat den Transformator erfunden, der nicht nur Menschen in Engel verwandelt, sondern auch Geistreisen möglich macht. Andere Dimensionen.«
»Wie zum Beispiel dieses grässliche Haus«, fiel ihr Amenatos ins Wort.
»Ich muss zugeben, es ist mir bislang unbekannt gewesen. Es waren meist sehr karge Gegenden, in die wir reisten. Wüsten mit nichts, außer Sand und Felsen, um uns nicht mit anderen Reizen abzulenken. Aber eines hatten alle Ebenen gemein. Es gab immer eine Hölle, einen Abgrund, das ewige Nichts, wenn du so willst.«
»Was geschieht, wenn man in diesen Abgrund fällt?«
»Das weiß niemand. Aber ich fürchte mich vor diesen Dämonenlöchern, so habe ich sie getauft. Für mich sind sie der Tod.«
»Du sprichst wie eine Poetin und besitzt das analytische Herz einer Wissenschaftlerin.« Amenatos griff nach ihrer Hand und umschloss sie. Er beugte sich nach vorne und küsste sie sanft auf die Wange. Ihre Haut war kühl und glatt. Ein angenehmer Gegensatz zu dieser erhitzten Dirne im Gewand eines Dienstmädchens, das ihm penetrant nachstellte.
»An was denkst du?«, wollte Elena wissen. »Du hast so schief gelächelt.«
»Ich dachte nur gerade an die Hausangestellte von Madame Hazard. Sophia oder so ähnlich. Sie raubt mir den letzten Nerv.«
»Du scheinst ihr zu gefallen. Sie sieht es gar nicht gerne, wenn du einen Krankenbesuch bei mir machst«, frotzelte Elena.
»Aber ich mag sie nicht. Anfangs fand ich sie niedlich. Mittlerweile jedoch hat sie ihre Sympathien bei mir mit ihrer Aufdringlichkeit verscherzt.«
Sophia, die ihr Ohr fest an die Tür gedrückt hielt, knirschte vor Wut mit den Zähnen. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr nicht behagte. Sie musste die
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