Im Bann der Engel
wir uns davonstehlen.«
»Da hat jemand richtig Hunger«, stellte der Engel fest.
»Halte mich bitte nicht für leichtfertig. Vor dir hat es lange Zeit keinen Mann gegeben. Und wenn ich es mir recht überlege. Einen wahren Mann hat es für mich noch nie gegeben. Das hier fühlt sich richtig an.«
Er nahm Elenas Hand und küsste ihre Fingerspitzen. »Für mich auch«, sagte er ernst.
Eine Stunde später fanden sich die Verschwörer in einem nicht mehr genutzten Weinkeller ein. Leere, verstaubte Fässer zeugten noch von der ursprünglichen Bestimmung. Der Keller gehörte zu einer Wirtschaft, die seit einigen Jahren bevorzugt mittags Gäste bewirtete. Der Weinkonsum war drastisch zurückgegangen, da die Arbeiter nach der Pause nicht betrunken zum Dienst erscheinen durften. Der Wirt war ebenfalls ein Mitverschwörer. Bei ihm war so mancher Plan geschmiedet worden. Elena staunte nicht schlecht, dass der Aufstand schon so lange geschwelt hatte.
»Seit zwei Jahren«, bestätigte einer der Wachleute. »Ich fand’s nicht mehr gut, was ihr da gemacht habt. Forschungen sind ja das Eine, aber die vielen Toten und dann die erbärmlichen Gestalten, die aus dem Kittchen zu euch geschickt wurden. Das war nicht in Ordnung. Außerdem hab ich gehört, dass der alte Chipperfield öfter auch Unschuldigen was angehängt hat.«
»Chipperfield?«, hakte Amenatos nach.
»Der Direktor. Er war auch Richter und hat sich schön was dazuverdient, in dem er Unschuldige zu Mördern gestempelt hat.«
Marcellus ergriff das Wort: »Außerdem werden die Wissenschaftler gezwungen, teuflische Rituale auszuüben.«
»Das stimmt so aber nicht«, wandte Elena ein. »Es sind spirituelle Riten. Aber satanisch ist daran nichts.«
Marcellus richtete sich zornig auf und schlug mit der Faust in seine offene Handfläche. »Mit Schläuchen gespickt zu werden, literweise bittere Säfte zu schlucken und obendrein auch noch mehrfach von diesem Sadisten Weisenhardt mit einer großen Spritze gefoltert zu werden. Das soll spirituell sein? Nicht zu reden von dem Aufenthalt in dieser anderen Dimension. Es war die Hölle.«
Elena fiel keine Erwiderung ein. Marcellus hatte Recht. Es war grausam, was sie den Versuchsobjekten angetan hatten. Allein, sie schon als Objekte zu bezeichnen, war abscheulich.
»Ich hab gehört«, sagte der Wachmann, »die meisten von den Versuchen sind schief gelaufen. Ein Kumpel von mir hat sich um das Krematorium gekümmert. Der hat die Leichen gesehen, bevor sie in die Flammen gewandert sind. Eine Folterkammer kann unmöglich Schlimmeres ausspucken.«
»Ist das wahr?«, fragte Marcellus und sah dabei nur Elena an.
»Du weißt, dass es stimmt. Oft genug hast du schließlich mitgeholfen, ich möchte dich nur mal an Clara erinnern.« Das war ein Schuss ins Blaue von Elena. Aber offensichtlich hatte sie getroffen.
»Sie war kein Gefangener, sondern eine aufmüpfige Mitarbeiterin.«
»Und trotzdem sah sie aus wie durch den Fleischwolf gedreht«, konterte Elena.
»Wir sollten nicht vergessen, dass wir an einem Strang ziehen. Vorwürfe bringen uns nicht weiter. Ich frage mich ernsthaft, auf welcher Seite wir hier eigentlich stehen. Einigen wir uns darauf, dass jeder seine Kerben im Holz hat«, sagte Amenatos streng.
Zustimmendes Gemurmel, das dumpf von den Wänden widerhallte, erhob sich im Keller.
Elena blickte in die Runde und fragte: »Warum habt ihr eigentlich nie etwas unternommen? Ihr wisst, dass sich obskure Dinge in der Fabrik zutragen, schaut aber tatenlos zu? «
Ein dürrer Kerl schob seinen Kautabak von einer Backentasche in die andere und erwiderte: »Wir dachten immer, dass sie gar nicht so schlimm ist. Immerhin hat sie der Stadt viel Geld gebracht, hat die Löhne der meisten von uns bezahlt. Wenn man drei kleine Blagen zuhause hat, so wie ich, denkt man mehrfach drüber nach, ob man in die Hand beißt, die einen füttert.«
Elena dachte über das Gesagte nach. Was der Mann geäußert hatte, war nachvollziehbar. Madame Hazard hatte Cravesbury von sich abhängig gemacht. Sie belieferte die Stadt mit Strom und hatte sich mit Teilhaberschaften in verschiedenen Firmen zu einer der mächtigsten Personen gemausert. Etwas, das ihrem verstorben Gatten zu Lebzeiten nie so recht gelungen war.
Doch jetzt, wo Madame Hazard der Bevölkerung den Krieg erklärt hatte, war es höchste Zeit zu handeln.
»Und dann hat sie den Labortrakt aufgezeichnet. Und zwar ziemlich genau. Mir gefällt, was du da machst.«
Marcellus stand am Bett
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