Im Bann der Engel
nahmen ihn so wie er war, stellten keine Fragen und machten ihm seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich.
Sophia regte sich neben ihm. »Bist du wach«, flüsterte er.
»Und wie. Bist du bereit für weiteren Spaß?« Sie griff ihm unverblümt zwischen die Beine und begann ihn zu massieren.
Er schob ihre Hand fort. »Ich muss dich etwas fragen.«
Sophia gab ein undefinierbares Geräusch von sich.
»Warum tut mein Rücken so weh, was ist da? Kannst du bitte mal schauen und mir beschreiben, was du siehst?«
Sophia setzte sich auf, nahm die Lampe zur Hand und sagte gelangweilt: »Da ist nur eine hauchfeine Narbe. Vielleicht bist du früher einmal gestürzt und nun schlägt das Wetter um und die Narbe schmerzt.«
»Es fühlt sich an, als sei mit meiner Wirbelsäule etwas im Argen.«
»So schlimm kann es nicht sein«, sagte sie. »Wenn ich mir vor Augen führe, wie geschickt du dich bewegst, sorge ich mich nicht.«
Er beschloss, sich eingehend bei Tageslicht im Spiegel zu betrachten, wenn Sophia fort war. Er misstraute ihr. Der beißende Schmerz im Rücken gab ihm Recht, dass da mehr war als nur eine hauchfeine Narbe. Als fräße sich etwas immer tiefer in seine Knochen hinein.
Elena lief die ganze Nacht an den Gleisen entlang. Als der Morgen schon weit fortgeschritten war, erreichte sie Cravesbury. Ihr Kleid klebte am Körper, das Korsett hatte sie gelockert, dennoch rieb es mittlerweile ihre Haut wund. Sie mochte sich nicht vorstellen, wie ihre Haare wohl aussehen würden. Einerlei, sie plante ja nicht, jemanden über den Weg zu laufen, bis sie im Hause des Reverend angelangt war.
Cassandra war sichtlich erleichtert, sie zu sehen.
»Du bist ja ganz aus dem Häuschen. Was ist denn geschehen?«, fragte Elena alarmiert.
»Weißt du es noch nicht? Dein Engel wurde abtransportiert. Unsere Spione, die das Tor überwachen, erzählten, dass er keine Flügel mehr besitzt. Außerdem war er bewusstlos. Man hat ihn zu Madame Hazards Anwesen gebracht.
»Keine Flügel mehr?« Elena fiel schwer auf einen Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen. »Das bedeutet für mich, sie haben ihn umgebracht und sich die kostbaren Flügel zurückgeholt.«
»Nein, das haben sie gewiss nicht.« Cassandra setzte sich neben Elena und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Dann hätten sie ihn ja auch einfach ins Krematorium bringen und an Ort und Stelle verbrennen können, oder?«
»Stimmt auch wieder.« Elena schniefte und griff dankbar nach dem Tuch, das Cassandra ihr reichte. »Es gibt nur einen Weg herauszufinden, was mit ihm ist. Ich muss ins Haus.«
»Unmöglich, das ist viel zu gefährlich. Außerdem, meine Liebe, auf wie vielen Hochzeiten möchtest du denn noch tanzen? Ich dachte, du hast Verstärkung angefordert und wartest hier. Ihr wollt doch irgendeinen Hokuspokus veranstalten. Leider konnte mein Bruder mir nichts Genaueres mitteilen.«
»Andererseits kann ich ihn aber auch nicht sich selbst überlassen. Er braucht meine Hilfe.«
Cassandra stieß missbilligend die Luft aus. »Papperlapapp. Wenn er tatsächlich tot ist, können wir ohnehin nichts mehr für ihn tun, außer für sein Seelenheil zu beten. Wenn er nicht tot ist, werden die ihn im Haus pfleglich behandeln. Warum sollten sie sich sonst die Mühe machen, ihn seiner Flügel zu berauben und das Ganze sorgfältig zu nähen?«
»Cassandra, ich mag deine klare Art zu denken.«
»Und ich mag jetzt eine Suppe auf den Tisch bringen. Holst du bitte die Kinder und meinen Bruder? Er kann aufstehen, auch wenn er nicht will. Anscheinend hat er Gefallen daran gefunden, auf der faulen Haut zu liegen.«
Beim Essen erzählte Elena, was sich auf der Rückfahrt von Middletree im Zug ereignet hatte. Die schlimmen Details sparte sie zuliebe der Kinder aus.
Elena ächzte, als sie den schweren Koffer anhob. »Dass Bücher aber auch immer so viel wiegen müssen«, stöhnte sie. Steven nahm ihr den Koffer ab, mit dem Resultat, dass der Henkel abriss.
Kurzerhand schulterte er Elenas Schätze.
»Sei vorsichtig«, mahnte sie, »die sind unbezahlbar. Einzelstücke.«
»Wenn der Reverend damit fertig ist, hast du einen Haufen Asche.«
»Aus diesem Grund werde ich sie ihm nicht zeigen, sondern in unserem Versteck meine Studierstube einrichten. Ich hoffe, dass meine Verstärkung bald kommt.«
»Das hoffe ich auch«, knurrte Steven. »Ich kann nämlich mit so nem Gelehrtenquatsch nichts anfangen. Aber guten Kuchen kann ich wenigstens backen.«
»Was müssen wir noch
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