Im Bann Der Herzen
gesund, oder, Doktor?«
»Deine Mutter weiß, was los ist«, gab er zurück. Die Frau krümmte sich, und seine Hände griffen rasch zwischen die blutverschmierten Schenkel. »Ruhig halten die Kerze, Ellie.«
Die Frau schrie unvermittelt auf, das erste Mal seit den Wehen, während ihr Körper konvulsivisch zuckte. Ein blutgetränktes Bündel erschien zwischen den Händen des Arztes, der rasch und geschickt die Atemwege des Kindes freimachte. Ein dünner Schrei ertönte, der blaue Körper färbte sich rosig. »Ein Junge, Mrs. Jones«, sagte er, durchschnitt die Nabelschnur und band sie ab. Dann legte er das Kind seiner Mutter an die Brust. »Klein, aber kerngesund.«
Die Frau sah das Kind erschöpft und mit leerem Blick an, dann führte sie mit erfahrenen Fingern den kleinen Mund an ihre Brust. »Hoffentlich habe ich diesmal mehr Milch«, murmelte sie.
Douglas drehte sich um und wusch sich die Hände in einem Becken mit kaltem Wasser. Das heiße Wasser war für
Mutter und Kind bestimmt. In dieser Bruchbude gab es nicht genug Brennstoff, um mehr als eine Schüssel voll Wasser zu wärmen. »Ich schicke Ihnen die Hebamme«, sagte er.
»Nein, Doktor. Wir schaffen das allein«, protestierte die Frau matt. »Unsere Ellie kann beim Putzen helfen. Nicht nötig, dass Sie die Hebamme bemühen.«
Douglas widersprach nicht. Er wusste, dass kein Geld für die Dienste der Hebamme vorhanden war, und dass die älteste Tochter inzwischen g en ug Erfahrung hatte. Er beugte sich über die Frau, befühlte ihre Stirn und sagte leise zu Ellie: »Sollte sie fiebern, musst du mich sofort holen. Verstanden?«
»Ja, Doktor.« Das Kind nickte heftig.
Er drückte die Hand des Mädchens auf und legte eine Münze hinein, worauf er die Finger darüber fest schloss. »Hol dafür Kerzen, einen Eimer Kohle und Milch für deine Ma«, ordnete er an. »Und lass es deinen Dad nicht sehen.«
Das Mädchen nickte ernst und drückte die geschlossene Faust an seinen zerlumpten Rock. Der Arzt tätschelte die Schulter des Kindes und ging hinaus, nicht ohne den Kopf unter dem niedrigen Türstock des schmalen Durchgangs zu beugen, der den hinteren Raum vom vorderen trennte, wo es mit Feuer, Licht und Einrichtung nicht besser bestellt war. Lumpenhaufen, über den Boden verteilt, dienten als Betten. Ein zerbrochener Stuhl stand neben einem Herd, auf dem in einem Gefäß über einem Dreifuß eine erbärmliche Wassermenge über ein paar Kohlen kochen sollte und von einem etwa fünfjährigen Jungen bewacht wurde, der aber ebenso auch ein paar Jahre älter sein konnte, da er im Wachstum sichtlich zurückgeblieben war.
»Charlie, wo ist dein Dad?«
»Drüben in der Kneipe«, sagte der Junge und starrte in den Topf, als könne er damit das Wasser zum Kochen bringen.
»Lauf rüber und sag ihm, dass du einen kleinen Bruder hast«, sagte Douglas und hob das Gefäß vom Feuer.
»Er ist sicher sternhagelvoll«, gab das Kind uninteressiert von sich.
»Sag ihm, er soll sofort kommen. Sag, dass ich es dir auftrug.« Zum ersten Mal war sein Ton streng. Das reichte, um dem Jungen Beine zu machen.
»Er wird mir eine scheuern«, befürchtete er allerdings.
»Nicht, wenn du dich duckst«, sagte Douglas trocken. »Wenn er betrunken ist, bist du flinker als er. Ich kenne dich doch.«
Ein schwaches Grinsen erhellte das schmutzige Gesicht. »Ja, das bin ich, Doktor.« Er ging zur Tür. »Geht es Ma gut?«
»Ihr und dem Kleinen geht es gut«, erwiderte Douglas. »Ich bringe Ellie das Wasser. Lauf los und hol deinen Dad.« Der Junge lief davon, dass seine bloßen Füße nur so auf dem eisigen Pflaster klatschten.
Douglas brachte das Wasser in das Hinterzimmer und gab dem kleinen Mädchen noch ein paar Anweisungen, ehe er ging und gebückt unter der Tür auf die Straße hinaustrat, im Gehen seinen Mantel zuknöpfend.
Einen Moment hielt er inne, streifte die Handschuhe über und stellte den Kragen auf, während sein Blick die Gasse nach beiden Seiten entlangwanderte. Er fasste die Eckkneipe ins Auge und wartete, bis Daniel Jones heraustrat, rotäu-gig und mit verschwommenem Blick. Er beobachtete, wie der Mann schwankend näher kam, dicht vor ihm der tänzelnde Charlie. Nun erst machte Douglas sich auf den Weg. Im nüchternen Zustand kein schlechter Mensch, neigte Daniel auch im Suff eher zu weinerlicher Gefühlsduselei als zu Gewalt. Die Ankunft eines neuen Erdenbürgers, den es durchzufüttern galt, würde ihn nicht weiter rühren, da er keinerlei Verpflichtung fühlte,
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