Im Bann der Leidenschaften
Kanten. Für die Disney-Verfilmung von Dornröschen wäre Prinzessin Auroras rosa Sternchen-Glitzer-Kleid nicht durchgegangen. Jedenfalls nicht für die jugendfreie Version.
„Alle Bräute nehmen vor der Hochzeit ab“, murmelt Jane.
„Aber doch nicht sooo viel“, jammere ich. Das Oberteil des grauenhaft kitschigen Ballkleides schnürt mir die Luft ab. Normalerweise passt eher mein Hintern nirgendwo hinein. Doch das ist in diesem Fall ausnahmsweise unmöglich, denn das Unterteil des Kleides besteht aus weit schwingenden Stoffschichten, auf denen ein ganzer silberner Sternenhimmel aufgenäht ist. Dafür besitze ich ab sofort eine neue Problemzone. Wie zwei eingequetschte Luftballons klemmen meine Brüste in dem Bustier, beziehungsweise quellen zu einem nicht unerheblichen Teil heraus.
„Fünf Kilo sind runter, hast du gesagt“, verteidigt Jane ihre Entscheidung, mein Kleid gleich zwei Größen unter meiner Normalgröße zu kaufen.
„Es sieht sexy aus“, behauptet Mel, die ja selbst aussieht wie die Sünde persönlich, deren Schuppen-Kleid jedoch gerade mal den Ansatz ihrer kleinen Brüste freigibt.
„Wenn du dich nackt fühlst , behältst du einfach den Umhang um. Der verdeckt alles“, unternimmt Jane in ihrem sitthaften, hellgelben Belle-Kleid den Versuch, mich zu beruhigen. Sie reicht mir ein pinkfarbenes Cape, nach dem ich gierig schnappe. In dem Moment ruft der Concierge an. Wenigstens waren meine Freundinnen so geistesgegenwärtig, ein Taxi zu bestellen. Ich hatte schon befürchtet, in dieser Karnevallsverkleidung in die Metro steigen zu müssen.
„Du kannst dich was anstellen!“, meckert Jane, als wir in einem Großraumtaxi sitzen, weil wir mit unseren platzraubenden, ultrakitschigen Ballkleidern im Leben nicht als Gruppe in ein normales Taxi gepasst hätten. Ich gebe mir die größte Mühe, nicht allzu verkrampft aus meinem Cape herauszuschauen, während ich es vor meiner Brust zuhalte. Es verdeckt nämlich ganz und gar nicht alles, wie Jane behauptet hatte. Die beiden vorderen Stoffteile berühren sich nur, wenn ich kräftig daran ziehe. Ich habe aber Angst, kräftig daran zu ziehen, weil ich das Reißen der Nähte bereits hören kann. Jane muss das winzige Ding in der Kinderabteilung gekauft haben – sehr zur Freude des dunkelhäutigen Taxifahrers übrigens, dessen Augen öfter in den Rückspielgel sehen als auf die noch heftig befahrenen Pariser Straßen.
„ Dreh das Cape doch einfach um“, kichert Mary-Beth. Sie kneift dem Taxifahrer ein Auge, woraufhin der zwar grinst, aber dann endlich geradeaus blickt.
„Rue de Rivoli“, verkündet der Taxifahrer kurz darauf. Er hält den Citroen vor der Nummer 228. Unsere erste Station ist das Le Meurice, ein 3-Sterne-Restaurant. Auf den Eingangsstufen liegt ein roter Teppich.
Wenn ich geglaubt hatte, meine Freundinnen würden jetzt endlich vor Ehrfurcht verstummen, hatte ich mich gründlich getäuscht. Sie sind schon wieder ganz aus dem Häuschen und lassen sich kichernd von dem Türsteher auf die dargebotenen Handrücken küssen. Beschämt mache ich es ihnen nach. Leider muss ich dafür mein Cape loslassen und die ganze überbordende Pracht liegt frei vor den Augen des Concierge, der großäugig zur Seite sieht. Sollte Philippe mich jemals ins Meurice ausführen wollen, werde ich Kopfschmerzen, meine Tage oder einen Magendurchbruch vortäuschen. Hier sieht mich niemand mehr wieder! Das weiß ich schon, bevor ich auch nur einen Schritt in das Innere des Etablissements gesetzt habe.
„Belle , Arielle, Blanche-Neige, Aurora“, der Türsteher weiß auf einen Blick, wen er vor sich hat. Ohne eine Miene zu verziehen, geleitet er uns zum Eingang des Speisesaals, wo wir gleich von einem seiner Kollegen empfangen werden.
„ Bonsoir“, begrüßt uns der Kellner, der in seiner Livrée aussieht wie ein arabischer Prinz. Gemessenen Schrittes führt er uns in den weiß und gold erstrahlenden Speisesaal, bei dessen Gestaltung sich der weltberühmte Philippe Stark vom Salon de la Paix im Schloss Versailles inspirieren ließ. Sämtliche Möbel und die Tischdeko sind weiß. Über den Bogenfenstern zieht sich eine goldene Bordüre um den ganzen Raum. Es gibt eine wunderschön bemalte Kuppel und glitzernde Kronleuchter.
Wir passen in diese n Speisesaal wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Als hätte Philippe Stark ihn eigens für uns eingerichtet. Jede von uns wird von einem eigenen Kellner verfolgt, der aussieht wie Aladin persönlich, und der ihr
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