Im Bann der Leidenschaften
klar: So kann ich Philippe nicht unter die Augen treten. Geschweige denn, dass ich ihn jetzt noch heiraten kann. Ich werde wohl mit meinen Freundinnen zurückfliegen. Die ganze Hochzeit muss abgesagt werden. Oh, ist mir schlecht!
„ Jerôme. Jerôme Chabrol.“
„ Nur falle es dich interessiert: Ich bin Annie“, entgegne ich matt, während ich mich vorsichtig umsehe. Meinen Nachnamen verschweige ich. Man weiß ja nie. Wir hocken in der hintersten, dunkelsten Ecke der Lounge. In weiter Ferne entdecke ich meine Freundinnen. Inmitten einer Gruppe von Leuten tanzen sie ausgelassen. Wenigstens haben sie von meinem Irrsinn nichts mitbekommen. Ich raffe meine Röcke zusammen und erhebe mich umständlich von dem Sitz.
„ Was ist los mit dir, Annie?“ Er sieht zu mir auf, mit diesem dunklen, irritierenden Blick. „Warum läufst du davon?“
„ Jerôme“, ich lasse seinen Namen auf der Zunge zergehen, „in ein paar Stunden heirate ich die Liebe meines Lebens. Jedenfalls war das bisher der Plan. Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist, warum ich mich zu, zu … dieser Sache habe hinreißen lassen. Ich bin vollkommen verwirrt. Ich muss gehen. Ich bin nicht allein hier. Meine Freundinnen suchen mich sicher längst. Das hier … nein, nicht das hier, sondern dieser Abend, diese Nacht ist meine Bridal Shower, mein Junggesellinnenabschied. Ich kann dich nicht wiedersehen. Niemals. Adieu.“
Der Alkohol hat seine Wirkung verloren. Ich renne quer durch die Lounge, verschwinde in der Damentoilette. Ein paar Frauen beschweren sich, weil ich mich an ihnen vorbeidränge. Doch als sie mein Kleid sehen und die Tränen, die mir über die Wangen laufen, lassen sie mich vor. Ich schaufele mir mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Dann gehe ich auf die Toilette und wische mich zwischen den Beinen mit ganz viel Papier trocken. Ist das gerade wirklich passiert? Habe ich mich wirklich von einem Wildfremden zu einem Seitensprung hinreißen lassen? War das überhaupt ein Seitensprung? Gehört zu einem Seitensprung nicht Sex, echter Sex? Ich stöhne laut auf. Irgendjemand fragt, ob es mir gut geht. Ich verlasse die Toilettenkabine. Meine Tränen sind versiegt, ich bin trocken im Schritt. Meinen Slip habe ich in den kleinen Mülleimer gestopft. Es ist besser, wenn ich ihn nie wiedersehe. Nicht den Slip und nicht diesen großen, etwas vierschrötigen Mann, der es so virtuos versteht, mich zu Dingen zu treiben, von denen ich niemals geträumt hätte. Ja, von denen ich nicht geahnt hätte, dass es sie gibt. Ich muss diesen Ort sofort verlassen, muss vergessen, was vorgefallen ist. Ich kann Philippe nicht vor den Kopf stoßen. Philippe, diesen großartigen, liebevollen Mann. Und dann sind da noch meine Freundinnen, meine Eltern, Philippes Eltern und all die anderen Hochzeitsgäste.
„Jane.“ Ich klopfe auf Janes Schulter. „Mir ist ganz komisch.“ Das ist nicht einmal gelogen. „Lass uns bitte gehen.“
Keine zehn Minuten darauf sitzen wir das letzte Mal in dieser Nacht in einem Großraumtaxi. Ich will nur noch nach Hause, in mein Bett und schlafen. Schlafen und vergessen.
Kapitel 5
„Dornröschen schläft“, kichert Mel, die mit mir die hinterste Reihe des Großraumtaxis besetzt. Das Meerjungfrauen-Outfit zwingt ihren Rücken und ihre endlos langen, beneidenswert schlanken Beine in eine unnatürliche Winkelhaltung.
Ich bemühe mich um tiefe, regelmäßige Atemzüge. Angesichts meines Kleides, das sich im Laufe des Abends um keinen Millimeter gedehnt hat, ist das Schwerstarbeit. Doch nach dem eindringlichen Erlebnis im Club bringt mich das nicht um. Das nicht.
Meine Lider sind geschlossen. In meinen Ohren klingt die basshaltige Musik aus dem Club nach, während meine Brustwarzen von Jerômes Lippen wie Feuer brennen und die Reifen des Taxis über den nassen Asphalt rauschen. Als wir vorhin den Club verlassen haben, regnete es bereits. Typisch Pariser Juli, würde Philippe sagen. Philippe … Grundgütiger! Was habe ich getan? Der Gedanke an Philippe setzt den Raum hinter meinen Lidern unter Wasser.
Auf dem Sitz direkt vor mir räuspert sich Jane. „Kein Wunder, dass Annie schläft. Sie ist vollkommen übermüdet“, meint sie.
So heiser wie Jane klingt, hat sie im Club nicht, wie behauptet, mit einer Gruppe kanadischer Austauschstudenten gesprochen, sondern hat die Jungs und Mädels allein unterhalten.
„Unsere arme Annie“, fabuliert Jane auch jetzt wieder munter drauflos, „befindet sich seit Wochen im
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