Im Bann der Leidenschaften
Kriege ich denn niemals genug? Bei der ersten sich mir bietenden Gelegenheit betrüge ich den Mann meines Lebens mit einem wildfremden Kerl. Ich bin doch keine Nymphomanin! Was ist bloß mit mir los? Ich habe die Liebe meines Lebens verraten. Ich muss wahnsinnig sein! Wimmernd sinke ich auf den Boden, schlage die Hände vor mein Gesicht und lasse den in Sturzbächen strömenden Tränen freien Lauf.
Keine Ahnung, wie lange ich heulend auf dem Boden hinter der Schlafzimmertür kauere, als ich spüre, wie die Tür von hinten gegen meinen Rücken drückt.
„Annie“, erklingt flüsternd Mels Stimme, „rutsch ein Stück.“
Mir ist alles egal. Schluchzend rutsche ich über den glatten Boden. Meine Zehen verheddern sich im Rock des dämlichen Dornröschen-Kleides. Ich habe in die Dornen gegriffen und jetzt liege ich blutend am Boden.
Hinter mir drückt Mel die Tür sacht ins Schloss.
Sie kniet neben mir nieder, schlingt ihre Arme um meinen Oberkörper und zieht mich an sich.
„Alles wird gut“, flüstert sie und streicht mir über das Haar. Dann krabbelt sie um mich herum und löst die Schnüre am Rücken meines Kleides. Ich hatte schon ganz vergessen, wie es sich anfühlt, wenn man richtig durchatmen kann. Endlich Luft! Ich fahre mir mit dem Unterarm über das Gesicht. Ein Schmierfilm aus Tränen, Make-up und Wimperntusche zieht sich über die Haut meines Armes.
Mel reicht mir ein Taschentuch. Sie hält mehrere Päckchen in der Hand. Jetzt erst fällt mir auf, dass sie nicht mehr Arielle, die Meerjungfrau ist, sondern einen karierten Männerschlafanzug trägt. Nur noch die roten Haare, die sich an den Spitzen leicht nach außen biegen, erinnern an die sexy Frau der vergangenen Nacht. Ihr Make-up hat sie bereits entfernt und die Brille sitzt wieder auf der süßen Himmelfahrtsnase.
„Die anderen schlafen“, sagt Mel beruhigend.
Obwohl auch Jane und Mary-Beth meine Freundinnen sind, Jane sogar meine beste, bin ich erleichtert. Es ist mehr als genug, dass eine von ihnen das Desaster mitbekommt. Mit zittrigen Beinen klettere ich aus dem grauenvollen Prinzessinnenkleid und werfe den BH, den dieser Jerôme berührt hat, weit von mir. Jetzt bin ich wieder das Aschenputtel.
„Den Slip habe ich auf der Damentoilette weggeworfen“, erkläre ich, als Mel sieht, dass ich unten herum nackt bin.
Mel nickt, als wäre es das normalste von der Welt, wenn man seinen Slip im Abfalleimer einer öffentlichen Damentoilette entsorgt. „Du besitzt doch sicher ein Nachthemd oder einen Schlafanzug?“
Seit ich bei Philippe lebe, schlafe ich nackt. Doch ich möchte Mels Verständnis nicht noch mehr strapazieren. Ich husche in den begehbaren Kleiderschrank, der sich neben meinem Bad befindet und ziehe eine frische Unterhose und eins meiner alten, riesigen T-Shirts über. Als ich den sauberen, unschuldigen Baumwollstoff auf der Haut fühle, geht es mir ein wenig besser.
„Du darfst dieses Leben nicht wegwerfen“, warnt Mel eindringlich, als ich wieder aus dem Schrank heraustrete.
Ich werfe mich bäuchlings auf das große Bett, in dem ich in den vergangenen Wochen jede Nacht mit Philippe geschlafen habe. Dann erzähle ich ihr die ganze Geschichte. Als ich am Ende angelangt bin, bin ich so verheult wie vorher. Doch ich setze mich auf. Mel sitzt bereits auf dem Bett. Sie legt einen Arm um meine Schulter.
„Ach, du armes Häufchen Elend“, seufzt sie. „Ich hatte auch schon mal Sex in einer Disco, beziehungsweise hinter dem Disco-Gebäude, zwischen zwei Glascontainern.“ Mel spricht stockend. „Aber dabei war ein Schwanz im Spiel. Und damals war nicht ich diejenige, die den Orgasmus hatte. Wie sich später herausstellte, hieß er noch nicht einmal Will, wie er mir erzählt hatte. Ich schäme mich noch heute dafür. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr.“
Mein Kopf ruckt hoch. „War das zwei Tage, bevor du deinen Traummann heiraten wolltest?“
Mels schlechte Erfahrung in allen Ehren, aber das, was ich gerade durchmache, ist dann doch noch einmal etwas anderes.
Mel sieht mich an. Ihre Augen sind geweitet, was aber nicht daran liegt, dass ich ihre Jugendsünde für harmloser halte als meinen Seitensprung.
„Du willst doch wohl nicht die Hochzeit absagen?“, ruft sie. In ihrem Gesicht zeichnen sich hektische rote Flecken ab. „Das kannst du nicht tun! Das wäre ein Riesenfehler!“
„Aber …“, beginne ich, ohne zu wissen, was ich eigentlich sagen will.
„Nichts aber“, fährt sie mir über den Mund. „Ich
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