Im Bann der Leidenschaften
kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Wie eine Betrügerin und zugleich beschmutzt. Du kannst nicht klar denken und Worte wie Hure schwirren durch deinen Kopf. Aber glaube mir: Alles falsch! Was glaubst du, was Männer auf ihrem Junggesellenabschied treiben? Bei denen ist es an der Tagesordnung, dass sie mit anderen Frauen rummachen. Oder was glaubst du, was die tun, wenn sie um die Häuser ziehen? Dass sie in eine Männerkneipe gehen, ein paar Bier trinken, Billard oder Skat spielen, und dann volltrunken nach Hause torkeln? Pah! Na ja, letzteres auch. Aber vorher haben sie was mit einer anderen Frau.“
„Philippe hat keinen Junggesellenabschied.“
„Und wo ist er jetzt? Weißt du, was er da im fernen Dubai treibt? Ob er gerade an einer arabischen Prinzessin knabbert? Hat er dich schon angerufen? Hat er dir eine SMS geschickt? Hast du irgendeine Nachricht von ihm?“
„Ich hatte mein Handy nicht mal dabei.“
Mel zuckt mit den Schultern. „Ein Anruf in Abwesenheit?“
„Er weiß, dass ich mit euch unterwegs bin“, murmele ich. Trotzdem grabbele ich mein Handy vom Nachttisch, wo es eigentlich immer liegt. Nichts. Kein Anruf in Abwesenheit, keine SMS. Verwirrt schüttele ich den Kopf und lege das Handy wieder zurück. Ich muss zugeben, dass an Mels Einwand was dran ist. Und wenn ich ehrlich bin, ist mir schon öfter der Gedanke gekommen, dass er was mit einer anderen haben könnte. Mir schwirrt der Kopf. „Was soll ich denn jetzt tun? Ich kann doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich fühle mich so mies! Und es macht die Sache auch nicht besser, wenn ich Philippe einen Seitensprung unterstelle.“
Mel schüttelt den Kopf. „Du musst das alles ganz anders sehen.“
Fragend sehe ich meine rothaarige Freundin an.
„Sieh es doch einmal so: Ein Typ in einem typisch französischen Club ist voll auf dich abgefahren. Ihr habt euch geküsst, aus irgendeinem Grund warst du leicht erregbar. Nein. Sagen wir: Du warst nicht du selbst, bist wegen der Hochzeit vollkommen verwirrt. Er fummelt ein bisschen an dir herum und du kommst.“ Mel stockt. Anscheinend wird auch ihr bewusst, wie unwahrscheinlich und vollkommen surreal das alles klingt. „Vielleicht bist du ja gar nicht gekommen. Manchmal kribbelt es da unten ein bisschen und man glaubt, das ist ein Orgasmus. Also mir ist das schon passiert, besonders am Anfang meiner Sexkarriere. Und später mit Typen, die es einfach nicht drauf haben.“
„Sexkarriere?“ Ich starre meine biedere Freundin Mel mit offenem Mund an. „Typen, die es nicht drauf haben?“
„Vergiss es. Ich hatte die ein oder andere Affäre, nichts ernstes“, knurrt sie. „Aber zurück zu dir: Hast du geschrien, als du gekommen bist? Hast du dich auf dem Rücken gewunden? Wolltest du ihn dringend in dir spüren?“
Ich schüttele den Kopf, obwohl ich mir alles andere als sicher bin. „Ich habe in seine Lederjacke gebissen.“
„Okay“, sagt Mel gedehnt. „Ihr habt aber nicht gefickt. Er hat dich ein bisschen berührt. Du hattest deine Hand auf seiner Hose.“
„Direkt unter meiner Hand lag sein Schwanz.“
„Dafür kannst du ja nichts, denn er hat deine Hand dahin gelegt“, winkt Mel ab. „Wenn du mich fragst, kannst du die Sache zu den Akten legen. Das war eine einmalige Angelegenheit, entstanden in einer außergewöhnlichen Situation und unter dem Einfluss von Alkohol. Sehr viel Alkohol sogar. So etwas zählt nicht. Auch du bist nur ein Mensch, Annie. Wenn du so willst, kann man sogar sagen, dieser Kerl hätte dich verfolgt und dann verführt, vielleicht sogar vergewaltigt. Immerhin hat der Typ die Statur eines Kleiderschranks.“
So ganz kann ich Mels Argumenten nicht folgen. Verführung, Vergewaltigung … Nichts davon trifft zu. Ich weiß aber auch nicht, was in Wirklichkeit zutrifft. Nur die Sache mit dem Alkoholeinfluss scheint mir plausibel. Ohne den Alkohol hätte ich mich sicher nicht auf dieses Spielchen eingelassen. Ich hätte den Kerl gar nicht erst angesprochen, sondern hätte mit meinen Freundinnen getanzt. Vielleicht hätte ich sie auch überredet, aus dem Club zu verschwinden. Hätte, wäre, würde, sollte … In dem Moment vibriert mein Handy. Ich hätte es ausschalten sollen. So wie früher, als ich noch nicht permanent erreichbar war und manchmal sogar meine Pin vergaß. Widerwillig grabbele ich das Mobiltelefon vom Nachttisch. Eine SMS.
„Nachricht von Philippe?“, fragt Mel.
Ich nicke abwesend und öffne die SMS.
„Wie spät ist es in
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