Im Bann der Leidenschaften
nach oben, in Atelier 1. Dort hängen die Brautjungfernkleider.“
Claude läuft vor. Wir folgen ihm wie die Gänseküken der Gänsemama in den hinteren Teil des Verkaufsraums. Hinter mehreren halbdurchscheinenden Vorhängen verbirgt sich eine Tür, die in einen langen Flur führt. Hier ist die Treppe. Wir steigen bis in die dritte Etage hoch. In den Ateliers, auf den Fluren und auf der Treppe herrscht reges Treiben. Claude beschäftigt sechs gelernte Schneiderinnen und zwei Hilfskräfte, die meistenteils zuschneiden und bügeln. Sie unterhalten sich quer über den Flur und von Etage zu Etage, während sie an ihren wunderschönen Kleidern arbeiten. Ich bin gespannt auf unsere Kleider. Für die Brautjungfernkleider habe ich lediglich die Stoffe ausgewählt und die Maße meiner Freundinnen durchgegeben. Ich weiß also kaum mehr als meine Freundinnen. Mein eigenes Kleid habe ich bereits zweimal anprobiert. Schon vor zwei Wochen war es perfekt, doch Claude hatte immer wieder etwas auszusetzen. Aber heute muss es fertig sein. Ich werde mich auf keine Diskussion einlassen. Heute wird es geliefert!
„So, meine Schönen“, seufzt Claude. Er läuft quer durch Atelier 1, zu der Frau, die halb hinter einer Mauer aus drei Paravents kniet und dort irgendetwas tut. Galant reicht er ihr eine Hand. „Gabrielle, sie sind hier. Die Stunde der Wahrheit.“
Claude ist ganz aufgeregt. Gabrielle erhebt sich stöhnend. Sie ist eine kleine, kräftige Person mit kinnlangem, pechschwarzem Haar und grantigem Gesichtsausdruck. Ein bisschen erinnert sie mich an Mireille Matthieu, ist jedoch höchstens halb so alt wie die Sängerin.
„Kann ich Französisch sprechen?“ Ihre großen dunklen Augen kleben an Claude.
„Nein, meine Kleine, die Amerikanerinnen sind in der Überzahl.“
„Dann rufe ich Isabelle und Nini“, brummt Gabrielle. „Dann sind wir in der Überzahl.“
Claude gibt ihr einen neckischen Klaps auf den ausladenden Hintern, woraufhin Gabrielle ihre Zunge in Claudes Ohr steckt. Kreischend springt Claude zur Seite. Gabrielle wendet sich uns zu. Sie strahlt über das ganze Gesicht und wirkt wie ausgewechselt.
„ Bonjour. Bonjour. Bonjour. Bonjour“, flötet sie mit heller Stimme und drückt jedem von uns einen Kuss auf jede Wange. „Ich hoffe, die Kleider gefallen euch. Ich habe sie nach dem entworfen, was Claude mir über euch erzählt hat.“
Gabrielles Englisch klingt fast so süß wie Philippes. Sie schlägt beide Hände auf ihr Herz. Ihr Blick wandert zu Mel. „Mit dir ist es am einfachsten. Du hast praktisch keine Figur. Also beginnen wir mit dir. Zieh dich bitte bis auf den Slip aus.“
Mel sieht schüchtern zu Claude. Der dreht Mel demonstrativ den Rücken zu. Gabrielle verschwindet augenrollend hinter dem Paravent und zerrt eine Schneiderpuppe hervor.
Ein Raunen geht durch das Atelier. Ooohs und Aaahs werden ausgestoßen.
„Ausziehen“, befiehlt Gabrielle in Richtung Mel. „Und dann rein ins Kleid.“
Mel gehorcht. Mit ihren langen Beinen steigt sie in diesen trägerlosen Traum aus lindgrüner Seide. Grün ist eindeutig Mels Farbe. Gabrielle zieht das Bandeau-Oberteil über Mels winzige Brüste.
„Festhalten.“
Mel hält das Kleid über den Brüsten fest.
„Ich habe ein kleines Polster eingearbeitet“, knurrt Gabrielle, läuft mit kurzen Schritten um Mel herum und zieht vorsichtig einen versteckten Reißverschluss hoch. Dann kommt sie mit einem sehr langen und sehr schmalen Satinband hinter Mel hervor, läuft einige Male um sie herum und befestigt das grün-weiß geringelte Satinband am Rücken. Jetzt offenbart sich die ganze Schönheit von Mels Kleid. Das Bandeau-Oberteil ist gerafft, darunter verläuft das mehrfach unter das Oberteil geschlungene Band. Darunter liegt der Stoff bis zur Hüfte eng an Mels superschlankem Oberkörper, um darunter in weichen, weiten Stofflagen wolkengleich hinunterzufallen. Vorn reicht das Kleid bis knapp über Mels Knie, hinten reicht es bis an ihre Knöchel. Es unterstreicht ihre Figur perfekt.
Gabrielles Gesicht ist puterrot und angespannt.
„Mel sieht himmlisch aus“, hechelt Jane unter zustimmendem Nicken und den Zustimmungsbekundungen aller Anwesenden. „Ich frage mich, wie erst das Brautkleid aussieht, wenn die dritte Brautjungfer schon dermaßen perfekt gekleidet ist?“
„Die Nächste“, befiehlt Gabrielle und verschwindet wieder hinter dem Paravent.
„Entspann dich“, ruft Claude ihr in schmeichelndem Ton zu und verschwindet ebenfalls hinter
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