Im Bann der Leidenschaften
kurz auf, als das Taxi in den ersten Stau auf der Avenue de Suffren fährt. Jules Cotillard steht auf dem Namenschild neben dem Taxameter.
„Wenn die drei Mesdames auf dem Rücksitz die Brautjungfern sind“, fährt Jules Cotillard fort, „dann sind Sie sicher die glückliche Braut, Mademoiselle. Liege ich richtig, Mademoiselle?“
Erstaunt wende ich meinen Kopf nach links. Jetzt weiß ich die Honigkuchengrinsen meiner Freundinnen zu deuten. Der Taxifahrer ist einer dieser großen, schlanken Schwarzen aus den französischen Kolonien, die aussehen wie Models.
„Ja, Monsieur, Sie liegen absolut richtig.“ Mit fliegenden Fingern reiße ich den weißen Umschlag auf und linse vorsichtig hinein. Darin ist eine Klappkarte. Ich ziehe sie hinaus und klappe sie ein wenig auseinander. Als ich eine Männerhandschrift erkenne, klappe ich das Ding sofort wieder zu und stecke es in die Tasche zurück. Nein, ich will jetzt keine Nachrichten lesen, nicht in einem Taxi und ganz besonders nicht im Beisein meiner Freundinnen. Wenn die Nachricht von dem Restaurant käme, in dem Philippe und ich unsere Hochzeit feiern, dann wären auf dem Brief der Absender und das Logo des Restaurants aufgedruckt. Ich schüttele den Kopf über mich selbst und atme schon wieder tief durch. Anscheinend bin ich doch nicht so abgebrüht, wie ich mir bei der Morgentoilette eingeredet habe.
„Mann, war der Typ hübsch! Das ist doch schon nicht mehr normal!“, prustet Mel, als wir endlich vor dem Brautmodenladen stehen. Wir sehen Jules Cotillard in seinem Taxi hinterher, das sich durch die schmale, vollgestopfte Rue Mayoc quält.
„Von der Sorte leben in Paris Tausende“, bemerke ich. „Manche sind sogar Single. Greif nur zu.“
„So einer wie der fährt doch nie im Leben auf mich ab.“ Mel zieht ein trauriges Gesicht.
„Phil sieht genauso gut aus“, bemerkt Jane. „Und der heiratet Annie. Also, warum sollte Jules nicht auf dich stehen? An deiner Stelle würde ich mir aber besser keinen Taxifahrer schnappen. So billig wie das Taxifahren hier ist, nagt der sicher am Hungertuch. Und jetzt lasst uns endlich in diesen Laden gehen. Ich bin neugierig auf Annies Brautkleid – und natürlich auf mein eigenes Kleid.“
Das Brautmodengeschäft Nuit Blanche ist ein kleiner Laden inmitten unzähliger Läden auf einer elendig langen Einkaufsstraße. Wie viele Läden liegt er in einem ganz normalen Wohnhaus und erstreckt sich über mehrere Etagen. Von außen sehen viele Läden nach nichts aus. Dieser sieht auch von innen nach nichts aus, doch Claude, der Besitzer des Ladens, führt ausschließlich Einzelstücke, die er selbst entwirft und die seine Schneiderinnen in den Ateliers im dritten Stock nähen. Darüber wohnt Claude mit seinem Mann Bénedict auf zwei pompös eingerichteten Etagen. Philippe ist mit den beiden befreundet und hat eine Fotostrecke mit Claudes Werken für die VOGUE gemacht.
„Annie, meine Liebe“, theatralisch wirft Claude beide Arme in die Luft und trippelt auf mich zu. Nur mit Mühe kann ich ein Lachen unterdrücken. In meiner Heimat wäre Claude das Gespräch des Jahres. Doch hier ist er einer von vielen und seine Umarmung ist so herzlich, dass mir fast die Tränen kommen. Aber das macht nichts. In dieser Umgebung wird es mir niemand verübeln, wenn ich weine.
„Jane, Mary-Beth, Mel – Claude, ein Freund und begnadeter Designer von Brautmoden und Ballkleidern“, mache ich meine Freundinnen und Claude miteinander bekannt.
Claude küsst meine Freundinnen nacheinander links und rechts auf die Wangen. Für jede hat er ein paar schmeichelnde Worte. An Jane lobt er die herrlich weichen Hände, bei Mary-Beth imponiert ihm die zierliche Gestalt und Mel ist für ihn das perfekte Model. Er will sie gleich für seine Modenschau am übernächsten Wochenende buchen.
„Diese Frau passt in jedes Kleid! Endlos lang und so schmal und dazu dieses kleine Herzchengesichtchen. Einfach entzückend! Wir legen dir einen pinkfarbenen Lippenstift auf, tuschen nur die oberen Wimpern, auf und unter die unteren Wimpern bekommst du etwas weißen Puder. Und dazu all die Brautkleider – was für ein Kontrast! Die Leute werden dich lieben!“ Claude kann sich kaum einkriegen.
Jane läuft knallrot an. Sie weiß gar nicht, wohin sie sehen soll. Selbst das versetzt Claude in Entzücken.
„Aaah, diese Attitude“, schwärmt er. Dann wendet er sich abrupt an mich. „Aber Schluss nun. Du bist die Hauptfigur, meine Liebe. Ich schlage vor, wir gehen
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