Im Bann der Liebe
sie. Sie hatte nicht vor, auszugehen, aber sie würde bald einen Aushang anbringen müssen, in dem sie ihre Dienste als Klavierlehrerin anpries, um Geld zu verdienen.
»Und du beeilst dich besser, junger Mann«, trieb Maisie Jasper an. »Die Schule fängt gleich an.«
Jasper zog eine Grimasse. Wie seine Mutter war er zurückhaltend, aber Susannah war sich sicher, dass er das warme, freundliche Wesen von ihr hatte. Er leerte seine Schale, und Susannah folgte seinem Beispiel.
Als Jasper und Maisie das Haus verließen, hatte es ganz leicht zu schneien begonnen, und von oben erklang Victorias hungriges Schreien.
Nach einigen Tagen auf einer harten Sitzbank unter Fremden im Zug war es herrlich, sich in einem behaglichen, großen Haus bewegen zu können. Summend griff Susannah sich das warme Fläschchen vom Herd, nahm Windeln und Nadeln mit und eilte nach oben, wo Victoria nicht zu überhören war.
Susannah war gerade dabei, die Windeln zu wechseln, was nicht ganz einfach war, da sie sich wegen der Kälte beeilen musste, als ein ungeduldiges Klopfen an ihrer Tür erklang und Mr. Fairgrieve seinen zerzausten Kopf hereinsteckte. Er war angezogen, aber noch nicht rasiert, und sie fragte sich, wo er wohl die Nacht verbracht haben mochte.
»Stirbt das Kind, oder was?«, verlangte er zu wissen. »Um Himmels willen, tun Sie was, ehe sie Tote weckt.«
»Sie hat Hunger«, gab Susannah kühl zurück. Victoria zappelte und stieß mit den Beinchen um sich. »Ich kümmere mich darum, sobald ich ihre Windeln gewechselt habe.«
Er seufzte gequält auf. »Nun, beeilen Sie sich, ich bekomme Kopfschmerzen.«
»Vielleicht«, schlug Susannah vor, die sich weniger über seine Bemerkung als über die Tatsache ärgerte, dass er die ganze Nacht nicht zu Hause gewesen war, »sollten Sie dann besser woanders hingehen, wo es Sie nicht so stört.«
Das Baby strampelte und schrie weiter, so laut es konnte. Aubrey murmelte etwas und schloss dann die Tür. Als Susannah mit dem Wickeln fertig war, wusch sie sich rasch die Hände und kam zurück, um Victoria ihr Fläschchen zu geben.
Kurze Zeit später schlief die Kleine satt und zufrieden wieder ein. Lächelnd drückte Susannah ihr einen Kuss auf die weiche Stirn und legte sie zurück in ihre Wiege. Dann sah sie einfach nur voller Glück zu, wie das Kind schlief. Sie wusste, dass Victoria nicht ihre Tochter war, und doch hatte sie in der kurzen Zeit, die sie erst hier war, schon eine tiefe Zuneigung zu dem Kind entwickelt.
Sie setzte sich auf einen Stuhl, legte die Hände vors Gesicht und versuchte sich zu fassen. Normalerweise war sie nicht so emotional, aber die große Verantwortung, die sie übernommen hatte, machte ihr Angst.
Susannah war ganz in Gedanken versunken, als Maisie den
Kopf zur Tür hineinsteckte. Sie hatte den Mantel schon ausgezogen, aber ihre Wangen waren noch rot vor Kälte. »Na bitte«, flüsterte sie, »die kleine Dame ist wieder eingeschlafen. Kommen Sie mit nach unten, ich mache uns einen Tee.«
Dankbar erhob sich Susannah und folgte ihr in die Küche.
»Dieser Jasper«, bemerkte Maisie zärtlich. »Er mag die Schule nicht besonders.«
Jetzt fiel Susannah wieder ein, wie ihr erster Eindruck von dem Jungen gewesen war - sie hatte ihn auf drei oder vier Jahre geschätzt. Für die Schule musste er noch viel zu jung sein.
»Wie alt ist Jasper?«, fragte sie deshalb.
»Sechs«, antwortete Maisie. Ihr Blick war besorgt. »Er ist recht klein für sein Alter, aber dafür klug. Äußerst klug.«
Susannah nickte und lächelte. »Haben Sie noch weitere Kinder, Maisie?«
Maisies Züge veränderten sich, aber dann antwortete sie entschieden: »Nein. Und auch keinen Mann. Es gibt nur Jasper und mich.«
Susannah hoffte, dass Maisie nicht das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen, sie war nicht die erste Frau, die allein mit einem Kind dasaß. »Wie lange arbeiten Sie schon für Mr. Fairgrieve?«
»Fast ein Jahr«, antwortete Maisie, während sie Tee in eine Kanne löffelte und kochendes Wasser darüber goss. »Mein Mann ist irgendwo in Montana ins Gefängnis gekommen, und Jasper und mich hat es irgendwann hierher verschlagen. Der Boss hat mich für seine neue Frau eingestellt.« Sie warf Susannah einen abschätzenden Blick zu. »Und Sie? Sind Sie je verheiratet gewesen?«
Susannah hatte ihre Hoffnungen und Träume immer für sich behalten. Sie waren ihr so zerbrechlich wie Schmetterlingsflügel vorgekommen und sie hatte sie nicht mit den anderen Frauen in St. Marys
Weitere Kostenlose Bücher