Im Bann der Liebe
Hollister hat mich heute Morgen übrigens besucht. Sieht so aus, als hätte er bei Pinkerton gekündigt, um wieder als Anwalt zu arbeiten. Ich nehme an, dass er das Reisen satt hat.«
Ethans Lächeln schwand. »Er würde Susannah gerne heiraten«, erklärte er, war aber mit seinen Gedanken eindeutig bei etwas anderem. Dennoch versuchte er weiter, die Stimmung aufzuheitern. »Du erholst dich besser schnell, Bruderherz, die halbe Stadt wird um sie werben, falls du stirbst oder zum Invaliden wirst.«
»Sehr komisch«, bemerkte Aubrey ohne Belustigung. »Du hast Ärger wegen deiner kleine Auseinandersetzung mit Delphinia, nicht wahr?«
Ethan zuckte die Achseln. »Wie gesagt, sie ist verschwunden. Hollister meint, dass sie die Anklage irgendwann werden fallen lassen, da ich der Angeschossene bin und sie nicht da ist, um ihre Aussage zu machen.« Wieder grinste er. »Falls ich es so lange schaffe, nicht aufzufallen, natürlich.«
»Natürlich«, stimmte Aubrey zu, setzte sein Tablett beiseite und sank in die Kissen zurück. »Lass dir eines gesagt sein, Ethan, wenn du wieder ins Gefängnis musst, erreichst du gar nichts.«
»Willst du etwa, dass ich die Kerle laufen lasse, die fast meinen Bruder auf dem Gewissen gehabt hätten?«
»Das wäre mir immer noch lieber, als dass du dein Leben ruinierst. Vergiss, was passiert ist, Ethan, das ist nicht dein Kampf.«
»Wessen denn dann? Sag jetzt nicht, dass die Polizei sich darum kümmern wird. Wir wissen beide, dass sie ein paar Spuren verfolgen, nichts finden und den Fall dann zu den Akten legen werden.«
»Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass das mein Kampf ist? Ich bin schließlich derjenige, der zusammengeschlagen worden ist.«
Ethan schlug sich den Hut an den Schenkel. »Du kommst ja nicht einmal aus dem Bett. Wie willst du da ein Rudel Ratten aufspüren?«
»Ah, dann hast du also Detektiv gespielt, obwohl du Hollister versprochen hattest, es nicht zu tun.«
Diesmal war Ethans Grinsen echt. »Ich habe doch nur ein paar Fragen gestellt«, verteidigte er sich.
» Ethan! «
»Ich werde vorsichtig sein«, gestand er schnell zu. Unbeholfenes Klimpern auf dem Klavier war jetzt zu hören. »Ich sehe, dass Susannah wieder Klavierunterricht gibt«, bemerkte Ethan, schon an der Tür.
Aubrey ließ den Kopf zurücksinken und schloss die Augen. »Ich weiß nicht, wie ich mich bei den Missklängen je erholen soll«, beklagte er sich. Als er die Augen wieder aufschlug, war Ethan gegangen. Grollend griff Aubrey nach seinem Teller und begann weiterzuessen.
Je eher er genas, desto eher musste er nicht mehr zuhören, wie Holzfäller und Minenarbeiter sein Klavier traktierten. Und desto eher würde er Susannah heiraten und in sein Bett holen können, nicht nur, damit sie zu seiner Beruhigung neben ihm lag.
Er wollte so viel mehr.
Ruby Hollister beugte sich vor, um ein Blech mit Keksen aus dem Ofen zu holen, und obwohl Ethan wegsehen wollte, schaffte er es nicht, den Blick abzuwenden. Als sie sich umwandte und ihn arglos anlächelte - ohne zu wissen, welch lüsternen Gedanken er sich gerade hingegeben hatte -, durchfuhr ihn plötzlich ein seltsames Gefühl. Es war so, als würde er magisch von ihr angezogen.
Ruby hatte sich die Haare locker hochgesteckt, sodass ihr kleine Strähnchen , die sich gelöst hatten, ins Gesicht fielen. Ihre Augen waren braun und voller Schalk und ihre Figur so weiblich, dass einem Mann das Herz stockte. Sie war ganz anders als Su Lin, und doch spürte er zum ersten Mal wieder, dass er Gefühle für eine andere Frau hegen konnte, die denen zu seiner verlorenen Liebe in nichts nachstanden.
Das zerriss ihn, den in seinem Schmerz und seiner Schuld hatte er sich geschworen, nie wieder so für jemand anderen zu empfinden. Ruby hatte mit ihrem Lächeln alle Barrieren eingerissen, die er seit Jahren um sich errichtet hatte, und sein Herz scheinbar in einem Streich erobert. Das Paradoxe dabei war, dass sie davon wahrscheinlich nichts ahnte.
»Sie bleiben doch zum Abendessen?«, fragte sie ihn.
Er dachte an den einsamen Platz zwischen Pinien und Fichten hinter seiner Hütte, an den er oft ging, um vor sich hin zu brüten wie ein Mann, der an einem Grab trauert. Seine Träume lagen dort begraben, wo Su Lin sich von ihm verabschiedet hatte.
»Ich kann nicht«, lehnte er ab. Es war eine Art von Sühne. Su Lin würde nie wissen, dass er dies hier tat, und doch musste er so handeln.
Er hoffte, dass wenigstens sie in China glücklich war und viele Kinder
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