Im Bann der Lilie (Complete Edition)
versuchen. Napoleon hatte auf Wunsch des Marquis Anweisung gegeben, jeden Hinweis auf den Verbleib der beiden Gesuchten vertraulich zu behandeln, da es sich um eine „Erbschaftsangelegenheit“ handeln würde. Natürlich trafen aus allen Himmelsrichtungen angebliche Sichtungen ein. Wer wollte sich nicht eine derart ohne Belohnung sichern? Zunächst einmal kam also auch der Verdacht aus Le Havre, geäußert von einer Madame LeBlanc, auf eine lange Liste beim Polizeiminister Fouche, die zunächst dem Konsul und später dem Marquis vorgelegt werden sollte. Einige Wochen gingen ins Land und der Herbst kündigte sich bereits an. Townsend kehrte zurück in die Hafenstadt. Zu gleicher Zeit bekam Bonaparte die Liste mit den wirklich ernst zu nehmenden Hinweisen auf den Verbleib des Chevaliers aus der französischen Bevölkerung auf den Schreibtisch. Wiederum würde es Zeit in Anspruch nehmen, diesen im Einzelnen nachzugehen. Eine Kopie davon ließ er dem Marquis zukommen.
Marcel hatte Recht gehabt mit seiner Vermutung, dass Townsend sich bei seiner Rückkehr wieder bei den Girauds melden würde. Dort übergab er dem Chevalier seine Notizen. Dieser blickte mit gerunzelter Stirn darauf.
„Der erste Teil ist ganz einfach“, meinte er dann nach dem vollständigen Lesen. „Zunächst einmal müssen wir einen Goldschmied finden, der meinen Ring bis ins kleinste Detail kopieren kann. Dann muss ich ihn mit meinem eigenen Blut in der Nacht der Toten weihen.“
„Die Nacht der Toten?“, fragte Townsend ungläubig nach. Die drei Männer hatten sich am späten Abend im Gartenhaus der Familie Giraud versammelt.
„Der 31. Oktober um Mitternacht“, gab Marcel weiter Auskunft. „Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist der Ort. Wenn ich das richtig deute, dann muss das Ritual in der Blume des Lebens vollzogen werden. Wo soll das sein?“
„Teufel auch“, schimpfte der resolute Engländer. „In vier Wochen haben wir den 31. und weder einen Ring, noch die Möglichkeit, alle Bedingungen des Rituals zu erfüllen.“
„Hm“, kam es von Silvio. „Einen Goldschmied werden wir doch wohl finden, oder?“ Der Junge hatte echt keine Ahnung.
Marcel lächelte. Townsend antwortete statt seiner: „Mein lieber Junge, ein solches Kunstwerk von einem Ring erfordert einen geschickten Handwerker. Den findet Ihr nicht hier in dieser Stadt. Abgesehen davon wird es ein Vermögen kosten, erst recht, wenn es so schnell gehen muss! Denn bedenkt: Er hat nur wenige Stunden für die Anfertigung der Kopie. Ihr selbst dürft nicht allzu lange ohne seinen Schutz sein! Selbst eure beiden Gäule dürften nicht soviel wert sein.“
„Das ist wahrlich ein Problem. Und dann wissen wir nicht einmal, wo ich den Ring weihen soll“, murmelte der junge Chevalier nachdenklich. Wo war diese „Blume des Lebens“ zu finden? Vielleicht war dies nur symbolisch gemeint. Ein Gedanke formte sich in seinem Kopf.
„Die Kathedrale von Chartres“, warf er plötzlich in den Raum und blickte triumphierend von einem zum anderen. Doch weder Silvio noch William Townsend wusste, worauf er hinaus wollte. „Ja, versteht ihr denn nicht? Den Grundriss dieser Kathedrale deuten Gläubige und Philosophen als ein Symbol, das man als Blume des Lebens, als Symbol Gottes bezeichnet.“
„Welch ein Hohn. Du als Vampir kannst dort bestimmt mal kurz ein heidnisches Ritual vollziehen“, schnaubte Silvio verzweifelt.
„In dieser Nacht kann er das“, korrigierte der Brite mit ernster Miene. Die beiden jungen Männer blickten ihn nun erstaunt an, während er weiter erklärte: „In dieser Nacht sind alle Gesetze aufgehoben, die die Sterblichen von den Unsterblichen trennen, so steht es seit Jahrhunderten geschrieben.“
„Mon Dieu, er hat Recht!“, rief Silvio jetzt begeistert aus, und auch Marcel strahlte über das ganze Gesicht. Am liebsten wären sie sich vor Freude gegenseitig um den Hals gefallen, doch aus Rücksicht auf ihren Besucher unterließen sie es, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Blieb da nur noch das Problem mit der Herstellung des Ringes und der knappen Zeit, woran Townsend die Freunde mahnend erinnerte. Erneut erhielt ihre Freude einen Dämpfer. Für einige Minuten herrschte Stille ihm Raum.
„Ich werde nach Paris reisen und mir das Geld von diesem Devereaux leihen. Er wird sich noch an mich erinnern. Dafür soll er das Schloss meines Vaters verkaufen“, verkündete Marcel Saint-Jacques dann.
„Aber das kannst du nicht tun!“, protestierte sein
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