Im Bann der Lilie (Complete Edition)
junger Gefährte lauthals. Ein solches Opfer wollte er auf keinen Fall annehmen!
Marcel nickte nachdenklich. „Doch, es ist die beste Lösung, glaub mir. Und weißt du was, mein lieber Silvio? Wir beide werden in die Kolonien reisen und dort ein neues Leben beginnen. Fernab von Napoleon, dem Marquis und allen Winkelzügen dieser alten Welt.“
Townsend nickte zustimmend, während Silvio Marcel mit großen Augen anstarrte. Vorbei war es mit seiner Abneigung gegen eine Rückkehr auf das Meer. War das sein Ernst? Wollte er wirklich seine Heimat für immer verlassen? Und das allein ihm zuliebe? Nun konnte er seine Emotionen nicht mehr zurückhalten und umarmte den Freund stürmisch. Der Engländer wandte sich diskret ab. Nie hätte er gedacht, dass diese untoten Geschöpfe, die sich von Blut nährten, zu solch einem Edelmut und solchen Gefühlen fähig waren. Diese beiden waren das genaue Gegenteil dieses menschenverachtenden Marquis. Nach einer Weile räusperte er sich respektvoll und wandte sich wieder den beiden jungen Männern nun.
„Nun, wenn Euer Entschluss feststeht, so solltet Ihr Euch eilen, Chevalier. Ihr habt ein schnelles Pferd, das Euch nach Paris bringen wird. Meidet die Hauptstraßen und reitet querfeldein. Alleine werdet Ihr nicht so schnell entdeckt werden, da man nach zwei Männern sucht. Ich selbst werde so lange auf Euren jungen Freund acht geben und im Haus der Girauds logieren. Meine Freunde werden bald nach Louisiana abreisen, um eine Baumwollplantage zu besichtigen. Sie haben mich gebeten, das Haus während ihrer Abwesenheit zu hüten. Ihr solltet also weiterhin hier in Sicherheit sein.“
„Das wollt Ihr für uns tun, Monsieur Townsend?“ Silvio konnte es kaum fassen. Soviel Vertrauen und Zuneigung wurde ihm geschenkt. Nicht nur von Marcel, sondern auch von einem Sterblichen.
Der grauhaarige Brite versuchte ein Lächeln, doch in seinem hageren Gesicht wirkte es eher wie ein Grinsen. Dennoch wurde seine Geste verstanden, und die beiden jungen Vampire reichten ihm voller Dankbarkeit die Hände.
Noch in der gleichen Nacht machte sich der Chevalier auf den Weg, und wieder trug ihn der flinke graue Hengst jede Nacht querfeldein durch das Land. Unterwegs kamen ihm Zweifel, ob Devereaux wirklich der richtige Mann für sein Anliegen war, doch er hatte keine Zeit, sich nach einem anderen Bankhaus umzuschauen.
In Paris angekommen, versicherte sich Marcel zunächst, dass das Bankierspaar allein im Haus weilte, bevor er den Türklopfer betätigte. Er wollte auf keinem Fall dem Marquis begegnen, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, dass dieser Wert auf eine Form von Familienleben legen würde. Aber man konnte ja nie wissen. Devereaux war erfreut, den Chevalier wiederzusehen und ließ ihn in sein Arbeitszimmer geleiten. Dort unterbreitete Marcel dem Geschäftsmann seine Idee, natürlich verschwieg er ihm, wofür er das Geld brauchte. Der alte Geschäftsmann überlegte nicht lange. Für einen guten Handel war er immer zu haben.
„Mein lieber Chevalier, ich muss gestehen, dass mich Euer Vorschlag überrascht. Andererseits hättet Ihr vermutlich wenig Glück mit Euren Plänen gehabt. Vielleicht ist es das Beste, Ihr trennt Euch von dem Ballast Eurer Vorfahren.“
Marcel fragte irritiert: „Inwiefern hätte ich kein Glück gehabt? Die Fohlen sind durchweg gut gelungen, zwei weitere Stuten tragend …“
Lachend unterbrach der Bankier seinen enthusiastischen Redeschwall. „Nicht doch, ich rede gar nicht von den Qualitäten Eurer Pferde, allerdings wäre es Euch schwer gefallen, diese zu verkaufen. Im Vertrauen: Der Marquis de Montespan möchte nicht, dass Ihr finanziell unabhängig werdet. Er sähe Euch vermutlich lieber in seiner Schuld. Aber nun, da Ihr das komplette Anwesen verkaufen wollt …“ Devereaux wandte sich ab, um in seiner Schreibtischschublade nach seinem Tresorschlüssel zu kramen. Er würde dem Chevalier das benötigte Geld in sofort Bar aushändigen und ihn einen Verkaufsauftrag für das Schloss Châtellerault unterschreiben lassen. So schnell hatte er im Leben noch kein gutes Geschäft gemacht. Er war rundum mit sich und der Welt zufrieden.
Marcel dagegen erstarrte bei diesen Sätzen innerlich. Dieser gerissene Fuchs! Hatte Julien gehofft, ihn aus wirtschaftlichen Gründen zurück zu bekommen? Gut, dass er ihm auf diese Weise zuvor gekommen war! Ohne viele weitere Worte zu wechseln, ging das Geschäft über die Bühne. Der junge Vampir verabschiedete sich danach eilig von
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