Im Bann der Lilie (Complete Edition)
ihm stand und ihn zu verhöhnen schien, hielt der Marquis inne und blickte an dem Gebäude empor bis hinauf zum Giebel und dem darüber liegenden Sternenhimmel, der sich nun in dem Eis seiner Augen zu spiegeln schien. Er ballte die Hände zu Fäusten.
„Marcel Saint-Jacques, beim Anblick des Universums, ich schwöre dir, dass ich dich finden werde. Eines Tages wirst du mich anflehen, an meiner Seite sein zu dürfen.“
Er wandte sich ab. Enttäuschung, Verzweiflung und Schmerz wühlten in ihm. Liebe war kein Segen, sondern ein Fluch! Aber verwechselte er da nicht Liebe mit Lust? War er als Vampir überhaupt zu tieferen Gefühlen fähig? Julien de Montespan war seit seiner eigenen Wandlung nie zuvor versucht gewesen, einen neuen Vampir zu erschaffen. Dies war erst durch sein Zusammentreffen mit dem jungen Saint-Jacques geschehen. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt. Er war sich sicher, dass auch Marcel zu Beginn eine tiefe Sympathie für ihn gehegt hatte. Was war nur daraus geworden? Wäre alles anders gekommen, wenn er damals nicht den Mörder auf Silvio angesetzt hätte? Hätte Marcel dann nicht früher oder später die Lust an diesem dummen Sterblichen von selbst verloren? Mittlerweile reute den Marquis diese übereilte Entscheidung, doch er konnte sie nicht mehr rückgängig machen, ebenso wenig wie die Wandlung dieses Schiffsjungen zu einem bildhübschen Vampir, der an Marcels Seite bleiben würde bis in alle Ewigkeit.
Die Ewigkeit wirst du nicht erleben, mein Junge, dachte der Maquis nun wiederum zornig an Marcels Gefährten und machte sich auf den Rückweg nach Paris. Ein anderer Gedanke hatte mittlerweile von ihm Besitz ergriffen.
Morgen würde er bei Bonaparte vorsprechen.
Der kleine Korse war nicht wenig erstaunt, den Marquis wiederzusehen, versäumte es jedoch nicht, diesem nachträglich zu seiner Vermählung zu gratulieren.
„Sagt mir, was führt Euch zu mir? Sucht Ihr eventuell nach einer neuen Aufgabe?“ Mit einem leicht spöttischen Unterton war diese Frage von Seiten des Ersten Konsuls versehen.
Julien winkte lächelnd ab.
„Mon général, ich habe eine große Bitte an Euch, die vielleicht sogar in Eurem eigenen Interesse sein dürfte.“ Er deutete auf die Kopie des Portraits, das nach wie vor im Arbeitszimmer des Feldherrn hing. „Ich bitte Euch darum, mir bei der Suche nach diesem Mann behilflich zu sein und Eure Soldaten nach ihm Ausschau halten zu lassen.“
„Dann stimmt es also, was man mir berichtet hat? Handelt es sich um etwa einen Magier oder Alchemisten, der das ewige Leben entdeckt hat?“
Dieser Gedanke war zwar absolut lächerlich, aber menschlich, vor allem in Anbetracht von Marcels exotischem Aussehen. Julien nickte zunächst. „Es verhält sich jedoch anders, als Ihr glaubt. Es besteht lediglich eine große Ähnlichkeit mit einer lebenden Person, die mir sehr nahe steht. Es geht um ein wertvolles Erbe, das es zu bewahren gilt. Ich bitte Euch, lasst nach dem Chevalier Marcel Saint-Jacques suchen. Er wird in Begleitung eines jungen Mannes sein. Es soll ihnen beiden kein Haar gekrümmt werden. Ich will sie nur in meine Obhut nehmen.“
Bei dem Begriff „Obhut“ zuckten Bonapartes Mundwinkel, während er gewohnheitsmäßig mit hinterrücks verschränkten Händen in seinem Arbeitszimmer auf und ab marschierte. Er schien nachzudenken, doch sein Entschluss stand längst fest.
„Wenn ich Euch diese Bitte gewähre und meine Leute im ganzen Land nach Euren Schützlingen suchen lasse, wärt Ihr mir einen Gefallen schuldig“, bemerkte er dann nicht ganz ohne Hinterlist.
Der Marquis verneigte sich zustimmend. „Wenn Ihr diesen Gefallen einlösen wollt, werde ich zur Stelle sein, mein Konsul.“
„Nun gut, so sei es!“ Der Konsul läutete nach seinem Adjutanten und ließ diesen eine Beschreibung der Gesuchten aufsetzen. Kuriere sollten diese an die Polizeireviere und Truppenstützpunkte in ganz Frankreich verteilen. Dabei setzte der Marquis eine Belohnung von fünfzig Goldstücken zusätzlich aus. Das dürfte Anreiz genug sein für die gierigen Sterblichen, auch ihren besten Freund zu verraten. Von nun an hieß es einfach abwarten.
Die beste Zeit, dem Haus eines Vampirs einen Besuch abzustatten und es lebend wieder zu verlassen, war am Tage. So dachte sich auch William Townsend, als seine Kutsche vor dem mehrstöckigen Anwesen des Marquis hielt. Die Reise war anstrengend gewesen, doch er wollte nicht bis morgen warten. Jeder Tag zählte. Unterwegs hatte er bereits
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