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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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Unbekannte lenkte ein.
    „Verzeiht meine Aufdringlichkeit. Ich war unhöflich. Darf ich mich zunächst bekannt machen? Ich bin der Marquis Julien de Montespan. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit der Astronomie, doch bin ich auch der Heilkunde und der Magie mächtig.“
    „Marcel Saint-Jacques“, stellte sich jetzt auch der Junge vor.
     „Wie ich höre, seid auch Ihr von Adel?“
    Der Junge schnaubte verächtlich. „Nicht ganz, Monsieur“, gab er sarkastisch zur Antwort.
    De Montespan schien zu verstehen. „Nun, ich will nicht weiter in Euch dringen. Das Schicksal hat uns hier an diesem Ort zusammen geführt. Vielleicht bin ich sogar das Eure.“
    „Wie meint Ihr das?“, fragte Marcel erstaunt.
    Er verspürte einen leichten Schwindel in seinem Kopf und schrieb das dem kräftigen Rotwein zu. Der Edelmann lächelte vielsagend.
    „Wenn Ihr es wagen wollt, mich auf mein Schloss zu begleiten, so werdet Ihr mehr als eines meiner Geheimnisse erfahren. Es soll Euer Schaden nicht sein.“
    „Ich interessiere mich nicht für die Sterne“, meinte Marcel wenig interessiert.
    „Das ist bedauerlich, denn ich könnte Euch eine viel versprechende Zukunft offerieren. Eine Zukunft, die unendlich weit offen ist.“
    Bei diesem letzten Satz zogen sich die Augen des Fremden zu schmalen Schlitzen zusammen und sein Ausdruck wurde noch lauernder.
    Marcel wurde aus dem Geschwätz nicht klug, aber was hatte er schließlich zu verlieren? Paris konnte auch noch einige Wochen warten.
    „Wollt Ihr mich nun begleiten?“
    Fast herausfordernd klang nun die Stimme des fremden Mannes.
    „Jetzt, um diese Zeit?“
    Es war ungewöhnlich, mitten in der Nacht auf die Reise zu gehen, außer in Notfällen, doch der seltsame Gast schien es ernst zu meinen.
    „Ja, ich reise gerne in der Dunkelheit. Das ist so eine Angewohnheit von mir.“
    Er lächelte wieder, setzte seinen Dreispitz auf und erhob sich. Die Schankmagd eilte herbei. Er gab ihr eine Münze in die hingehaltene Hand.
    „Macht das Pferd dieses Jungen fertig und bindet es an meine Kutsche. Wir machen uns unverzüglich auf den Weg.“
    Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Aber ihr sollte es recht sein, hatte der Wirt doch wieder ein Zimmer zu vergeben, das der Junge schon bezahlt hatte. Marcel wurde so überrumpelt, dass er nur noch wortlos aufstand und sein Gepäck aufnahm. Er folgte dem hoch gewachsenen Fremden hinaus in die Nacht. Leichte Nebelfelder hatten sich dicht über dem Boden gebildet. Nächtliche Kühle löste die Hitze des Tages ab. Die Pferde standen wieder – oder immer noch? – in dem prachtvollen Geschirr aus schwarzem Leder mit lackierten Scheuklappen. Sie schnaubten ungeduldig, schienen genau zu wissen, dass es bald losgehen würde. Der Kutscher saß in seinem Umhang mit hochgezogenem Kragen wie ein Scherenschnitt auf dem Bock, hielt die Zügel in der linken und die Peitsche in der rechten Hand. Der verschlafene Stallbusche des Schankhauses band gerade den roten Hengst an der Rückseite der Kutsche mit einem Stück Seil an. Die beiden Männer stiegen ein. Kaum war der Kutschenschlag zugefallen, knallte die Peitsche und die Pferde zogen mit einem Ruck an, dass Marcel in die weichen Polster gedrückt wurde. Die holprige Fahrt ging über flaches Land und durch vereinzelte Wälder. Nur das Geräusch der Räder und der trabenden Hufe machte den Unterschied zwischen den oft befahrenen Wegen mit den eingefrästen Spuren unzähliger Wagen und dem weichen, torfigen Waldboden. Der Nebel schien draußen immer höher zu steigen. Marcel konnte kaum noch die Landschaft erkennen. Wo, zum Teufel, befanden sie sich überhaupt? Manchmal konnte er in der Ferne das Licht eines Hauses erkennen, ansonsten war alles in Schwarz und Grau getaucht. Das gute Essen zuvor und das nun eintönige Rumpeln der Kutsche wirkten einschläfernd nach dem langen Ritt am Tage zuvor. So kam es, das Marcels Kopf zur Seite fiel und er in einen traumlosen Schlaf hinüber glitt.
     
    Julien de Montespan betrachtete den schlummernden Jüngling mit einem begehrlichen Blick. Das noch bartlose Gesicht besaß die Anmut eines Mädchens. Ein dunkler Wimperkranz umrahmte die geschlossenen Augen. Ein paar wirre Haarsträhnen fielen über seine Stirn. Schlichte Reisekleidung aus grauem Tuch verhüllte den schlanken Körper. Und darin schlug ein junges, kräftiges Herz, das noch niemand gebrochen hatte und vielleicht selbst noch niemals geliebt hatte. Welch kostbares, unverfälschtes Blut es durch die Adern

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