Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Papierkram.
Etwas raschelte im Gebüsch hinter den Grabsteinen, und die beiden Verschwörer fuhren herum. Ein dritter Mann näherte sich ihnen nun über den zugewachsenen Friedhofsweg. Zunächst konnten sie nur seine Silhouette ausmachen. Conechet griff vorsichtshalber in die Innentasche seines Gehrocks und zog eine klobige Pistole heraus, die allerdings nur einen einzigen Schuss erlauben würde. Der Engländer neben ihm legte beruhigend seine Hand auf den Arm des nervösen Franzosen und blickte diesen warnend an, wobei er gleichzeitig unmerklich den Kopf schüttelte.
„Wer seid Ihr? Nennt uns Euren Namen“, rief der Anwalt laut in die Dunkelheit. Seine Stimme zitterte dennoch leicht. Der Fremde hob beide Hände hoch und stellte sich nun so, dass der Mond sein Gesicht erhellte. Er war sehr jung und von anmutiger, exotischer Schönheit. Genau solche Jungen hatte Conechet früher bei Hofe gesehen, sie dienten den hoch gestellten Persönlichkeiten zu ihren persönlichen Vergnügungen, ganz gleich ob den adeligen Damen oder Herren. Er nahm den Fremden genauer unter die Lupe: Seine Kleidung war gepflegt und von gehobenem Status. Nein, das hier sah nicht nach einem Feind aus. Conechet steckte die einläufige Waffe in seinen Hosenbund.
„Namen sind doch Schall und Rauch“, antwortete Marcel fast philosophisch und trat noch ein Stück näher heran. Dieser Townsend war einen guten Kopf größer als er, während Conechet etwa die gleiche Größe, dafür aber den dreifachen Umfang besaß.
„Was willst du hier, Junge?“, fragte der Dicke jetzt unwirsch.
Marcel ließ sich nicht einschüchtern. Seine schwarzen Augen brannten in seinem Gesicht wie glimmende Kohlestücke. Es fiel seinem Gegenüber merklich schwer, dem Blick des Vampirs stand zu halten und er wandte sich rasch ab. Jetzt lächelte der junge Mann.
„Verzeiht, edle Herren, ich habe unerlaubt einen Teil Eures Gespräches belauscht.“
Die zwei Verräter blickten sich vielsagend an. Insgeheim stellten sie sich bereits auf eine Erpressung ein, und die Hand des Anwalts näherte sich bereits wieder der Holzpistole in seinem Bund.
„Oh, keine Sorge“, beschwichtigte Marcel die beiden. „Ich habe die Absicht, Euren Plänen dienlich zu sein.“
„Inwiefern?“, brummte Conechet nun mit einem lauernden Blick auf den Fremden, der sich mitten in der Nacht auf einem verlassenen Friedhof herumtrieb.
„Soviel ich gehört habe, bedürft ihr der Lösung eines Problems?“, erwiderte Marcel ebenso lauernd.
Conechets Hand entfernte sich wieder von der unhandlichen Waffe.
„Ihr seht mir nicht so aus, als wärt ihr der geborene Meuchelmörder“, warf der Engländer William Townsend jetzt nüchtern ein. Sein Blick war eher spöttisch auf den hübschen Jungen gerichtet. Er traute ihm offenbar nicht viel zu.
„Lasst Euch nicht von meinem Aussehen täuschen“, beteuerte Marcel. „Ich habe Gaben, die man mir auf den ersten Blick nicht ansieht!“
„Das glaube ich gern“, murmelte der Dicke und dachte dabei an die Lustknaben bei Hofe.
Marcel wurde ärgerlich. Er hätte zu gern etwas auf die schmutzigen Gedanken dieses Herrn erwidert, doch dann hätte er seine Fähigkeit des Gedankenlesens preisgeben müssen. Und das wollte er unbedingt vermeiden.
„Habt ihr schon einmal vom Rédempteur gehört?“, fragte Marcel jetzt.
Dem Engländer sagte der Begriff nichts. Der Dicke jedoch war bei diesem Ausdruck zusammengezuckt.
„Wollt Ihr damit sagen …“
Marcel nickte nur.
Wieder ergriff der Brite ungeduldig das Wort: „Ihr müsstet zu diesem Zweck nach England reisen.“
Marcel zuckte die Schultern. „Auch gut.“
„Und welchen Preis verlangt ihr?“, mischte sich der Anwalt in die Verhandlung ein.
Darüber hatte der junge Vampir sich noch keine konkreten Gedanken gemacht. Aber er wusste, was, beziehungsweise wohin er wollte: zu Julien. Nun musste er sich etwa einfallen lassen!
„Ich kann Euch beruhigen. Ich möchte kein Geld.“
Die Erleichterung des Dicken war fast spürbar.
„Ich habe vorhin den Namen dieses Arztes vernommen. Da ich selbst unter einer seltenen Krankheit leide, bedarf ich seiner Hilfe. Wenn ich meine Aufgabe erledigt habe, dann bringt mich zu Julien de Montespan“, forderte Marcel mit fester Stimme.
Jetzt war der Engländer doch etwas verblüfft und zog verwundert die Brauen hoch.
„Um welche Krankheit handelt es sich denn?“, erkundigte er sich dann.
„Meine Reise darf nur in einem geschlossenen Behälter erfolgen, da
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