Im Bann der Lilie (Complete Edition)
beiden schwankte zwischen Flüstern und Erregung. Der Tonfall des Franzosen wurde ab und zu mal lauter und er gestikulierte wild, während der Brite ganz ruhig und sachlich blieb und gezielte Fragen stellte.
Offenbar ging es um eine bevorstehende Seeschlacht und um strategisch wichtige Punkte. Dann wurde beiläufig über eine alte Verwundung dieses Napoléon gesprochen, den ein begnadeter Arzt, der den General auf seinen Feldzügen begleitete, mit bemerkenswerter Schnelligkeit geheilt hatte. Der Name, der kurz darauf fiel, durchzuckte Marcel wie der Blitz einen Gewitterhimmel: Julien de Montespan. Er spürte plötzlich, wie sehr ihm der erfahrene Freund fehlte, trotz seiner Grausamkeit und seines Zynismus. Der Schlaf hatte ihn gnädig von all diesen Emotionen befreit, nun brachen sie mit aller Macht wieder über ihn herein. Vergessen war der Ärger über ihn. Besorgnis löste diesen freudigen, ersten Schrecken ab.
Sein ehemaliger Mentor hielt sich anscheinend in einem sehr gefährlichen Gebiet auf und das auch noch meilenweit entfernt von ihm. Jetzt wollte er mehr erfahren! Er musste irgendwie mit diesen beiden Konspirateuren ins Gespräch kommen. Aber wenn diese wirklich ein Komplott schmiedeten, dann würden sie ihm als Fremden erst recht misstrauen. Für eine Zeitlang vergaß er das brennende Gefühl in seinen durstigen Adern.
Mit dem wandernden Vollmond am Himmel schlich Marcel im Schatten der Bäume umher, bis er wieder eine bessere Position hatte, um das Gespräch mit seinen feinen Sinnen belauschen zu können. Jetzt ging es um eine reiche Erbin, die dem Franzosen im Wege stand. So lautete also der Deal: Informationen gegen einen kleinen Mord?
„Wenn Fabienne aus dem Weg ist, bin ich der letzte Erbe des Conechet-Vermögens“, zischte der Franzose einem Gegenüber zu. Seine schmalen braunen Augen verschwanden fast unter den Schlupflidern und die gepuderte Perücke wies ihn als einen hochgestellten Bürger aus, einen Notar, Anwalt oder ähnliches. Wenn dem so war, so hatte er tatsächlich die Funktion eines Geheimnisträgers und war in der Lage, Informationen zu verkaufen. Vom Äußeren her ähnelte er einer bissigen Bulldogge mit seiner fülligen Figur und dem feisten Gesicht.
Der etwas größere Engländer blickte sein Gegenüber aus kühlen, grauen Augen abschätzend an. Er trug keine Perücke, sondern sein bereits stark ergrautes Haar streng zurück gekämmt. Das Gesicht war so hager wie seine gesamte Gestalt.
„Ich werde dieses Problem natürlich nicht persönlich für sie erledigen“, sagte er jetzt. „Aber ich werde bestimmt jemanden finden, der die kleine Dame aus der Welt schafft.“
Der Dicke schien denkbar unzufrieden mit dieser Auskunft.
„Ich habe das Gefühl, Sie wollen mich übers Ohr hauen, Monsieur Townsend. Ich werde ihnen keine weiteren Geheimnisse anvertrauen, wenn Sie mir nicht helfen, an mein rechtmäßiges Erbe zu kommen, und zwar noch vor meinem Ableben. Es ist wirklich bedauerlich, dass Fabienne die Revolution in ihrem Exil in England überlebt hat, sonst hätte die Guillotine ihrem adeligen Dasein ein Ende machen können. Leider ist sie auch noch wesentlich jünger als ich, so dass ich kaum auf einen natürlichen Tod hoffen darf.“
Der vermeintliche Anwalt schimpfte, rieb sich jedoch innerlich die Hände in Vorfreude auf das gigantische Vermögen, welches ihr gemeinsamer Onkel, der Comte Guillaume Conechet in weiser Voraussicht noch vor Beginn der Revolution aus Frankreich herausgeschafft hatte, bevor er und der Rest seiner Familie verhaftet zum Tode verurteilt wurden. Wie froh war er, Louis Conechet, damals gewesen, dass er von Anfang auf seinen Titel verzichtet hatte und zu einem hoch geschätzten Anwalt der besseren Gesellschaft avancierte. In den Kreisen der Generäle und Feldmarschälle erfuhr man beiläufig so allerlei und bei den charmanten Damen noch sehr viel mehr. Diese Tatsache hatte der gewiefte Louis sich recht bald zunutze gemacht und den Engländern, mit denen man zurzeit im Krieg stand, einen Handel angeboten. Seit dem fungierte er als gut bezahlter Spion für die gegnerische Seite. Aber die prall gefüllten Geldbeutel, die für jede Information ihren Besitzer wechselten, reichten ihm nicht. Er wollte unbedingt an sein Erbe, und seine Cousine Fabienne stand ihm dabei im Weg. Dummerweise war das Mädchen in England unerreichbar, also brauchte er einen Verbündeten dort, der dieses Problem für ihn beseitigte. Danach wäre alles Weitere nur noch
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