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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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der letzten Jahre schien aus ihm heraus zu brechen, schüttelte seinen schmächtigen Körper in einem heftigen Weinkrampf, den Marcel stumm über sich ergehen ließ, bis Silvio sich wieder beruhigt hatte. Er strich dem Jungen über das Haar, der sich vorsichtig und ohne Furcht wieder von ihm löste.
    „Du bist frei“, meinte er. „Geh und finde deine Familie. Ich werde weiter nach meinem Freund suchen.“
    Ein Schniefen war die Antwort und Marcel reichte Silvio mit einem leisen Lachen erneut sein Taschentuch. „Besser, du behältst es gleich“, meinte er.
    Jetzt musste auch Silvio lachen. Er putzte sich die Nase. Dann schaute er Marcel besorgt an.
    „Was hast du jetzt vor?“, fragte er ihn.
    Marcel zuckte die Schultern. „Zunächst einmal die Leiche loswerden und dann warten, bis das Schiff wieder ausläuft“, meinte er.
    Silvio kam eine Idee.
    „Die Fregatten sind sehr viel schneller als wir. Warum reist du nicht mit der Admiralsflotte weiter?“
    Obwohl der Gedanke an sich gar nicht so übel war, musste Marcel lachen. Wie sollten sie beide wohl seine Kiste unbemerkt auf ein britisches Schlachtschiff verladen können? Andererseits – Townsend war so clever gewesen, den Frachtbrief direkt an Kapitän Troubridge als Empfänger auszustellen. Dessen Schiff, die CULLODEN, lag ganz hinten am Quai, als letztes Schiff der Flotte. Was wäre, wenn die Fracht ihn schon vor Alexandria erreichte?
    Silvio beobachtete, wie sein Freund nachdachte und schlug vor, dass sie beide als Boten das Linienschiff der Briten besuchen sollten und dort den Frachtbrief vorzeigen. Vielleicht würden die Engländer die Kiste dann heute Nacht noch an Bord holen? Einen Versuch war es wert.
    „In diesen Lumpen kannst du dich aber unmöglich bei den Engländern blicken lassen“, warf Marcel ein und schaute an dem Schiffsjungen herunter. „Besser, du ziehst dir was Sauberes an, sonst lassen die uns gar nicht erst an Bord. Ich besorge inzwischen die Papiere aus der Kapitänskajüte.“
    „Warte, ich komme mit, der Käpt’n hat vielleicht was Ordentliches da, was ich anziehen kann.“
    Die beiden jungen Männer machten sich auf den Weg in die Unterkunft des Kapitäns. Der Frachtbrief war schnell gefunden, aber passende Kleidung für den schlanken Silvio zu finden war weitaus schwieriger. Es blieb bei einem weißen – immerhin sauberen – Hemd, einer schwarzen Hose und einem Ledergürtel. Das Ganze schlotterte um die zierliche Figur, dass Marcel bei seinem Anblick unwillkürlich lachen musste. Silvio verzog erst beleidigt das Gesicht, dann stimmte er mit ein. Mit seinem typisch italienischen Temperament flog er Marcel an den Hals, ungeachtet der Tatsache, dass er nun um Marcels dunkle Seite wusste. Und zum zweiten Mal in dieser Nacht hielt Marcel den Jungen in seinen Armen. Diesmal sehr viel länger. Das Ganze schien sich zu einem regelrechten Abenteuer für sie beide zu entwickeln. In jeder Hinsicht.

Der erste Offizier der CULLODEN drehte und wendete das Pergament in seiner Hand hin und her, überlegte kurz. Sollte er dem Kapitän Meldung von dem Besuch zweier Schiffsjungen machen oder die für ihn bestimmte Ladung direkt hinüber holen lassen? Schließlich würde man in weniger als fünf Stunden bereits auslaufen und Kurs auf Alexandria nehmen! Wer wusste, ob die Fracht den Kapitän dann noch erreichen würde bei dem wesentlich langsameren Handelsschiff und der bevorstehenden Schlacht mit den Franzosen? Heute Nachmittag hatte man nur an die Lebensmittel gedacht, nicht aber die Frachtpapiere geprüft, ob persönliche Waren für die Befehlshaber an Bord waren. Insofern konnte er den beiden Jungen da vor ihm noch dankbar sein, dass sie ihn darauf hinwiesen. Stuart O’Connor beschloss zu handeln. Der sture, irische Dickkopf befahl zwei Matrosen, die Kiste für Kapitän Troubridge von der MARY-ANNE auf die CULLODEN zu bringen. Er blickte die beiden ungleichen jungen Männer vor ihm an. Der eine blickte verlegen zu Boden, er hatte nicht einmal Schuhe an. Der andere … schwer zu sagen … machte einen sehr distinguierten Eindruck. Unnahbar und auf eine merkwürdige Weise gefährlich. Der hier hatte bislang noch kein Wort gesprochen.
    „Was ist mit euch?“, brummte er Marcel und Silvio an.
    „Wollt ihr weiter auf dem alten Seelenverkäufer herum dümpeln oder für einen anständigen Sold in der britischen Armee dienen?“
    Marcel schwieg. Sein französischer Akzent wäre viel zu verräterisch gewesen. Silvio ergriff wieder das Wort:

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