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Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Im Bann der Lilie (Complete Edition)

Titel: Im Bann der Lilie (Complete Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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„Verzeiht, Leutnant, mein Kollege hier ist stumm. Aber ich spreche für ihn mit, wenn ich sage, dass es uns eine Ehre wäre, auf Eurem prächtigen Schiff dienen zu dürfen!“
    Marcel fuhr herum und musterte den Jungen neben ihm wortlos. Wollte der nicht noch vor wenigen Stunden nach seiner Familie in Neapel suchen? So kurz vor dem Ziel und jetzt blieb Silvio bei ihm, damit er, der Untote, nicht in Gefahr geriet, seine wahre Natur verraten zu müssen? Es schien, als hätte er einen wahren Freund gefunden!
    O’Connor rieb sich zufrieden die Hände. Nicht nur die Fracht des Kapitäns gerettet, sondern gleich zwei tüchtige Burschen für die Drecksarbeit gewonnen. So machte man das! Wenn er das morgen früh dem Kapitän berichten würde, wäre ihm eine Belobigung sicher!
    Am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe stach die Flotte des britischen Admirals in See. An Bord der CULLODEN befanden sich eine Frachtkiste mehr und ein Schiffsjunge. Der andere war spurlos verschwunden.
     
    Marcel Saint-Jacques lag schlafend im Vorratsraum des riesigen Dreimasters. An Bord wachte sein Freund Silvio über sein Wohlergeben und schlich sich jede Nacht mit einer Laterne unbemerkt hinunter, um in Marcels Nähe zu sein. Oft erzählte Silvio seinem neuen Weggefährten stundenlang aus seinem noch so jungen Leben. Marcel hörte aufmerksam und gleichzeitig belustigt zu. Wie viele Jahrhunderte waren ihm dagegen wohl noch beschert, fragte er sich.
    Es dauerte gar nicht lange, bis sich aus einer vertrauensvollen Freundschaft zwischen den beiden jungen Männern mehr entwickelte. Eines Abends sorgte eine der heftig rollenden Bewegungen des Schiffes dafür, dass Silvio gegen Marcel geworfen wurde, der ihn lachend auffing. Offenbar hatte der junge Italiener es nicht eilig, sich von ihm zu lösen. Im Gegenteil, die Kraft, die ihn da gerade hielt, schenkte ihm eine nie gekannte Geborgenheit. Er umklammerte Marcels Taille und obwohl sein Herz das einzige war, das im Laternenlicht des Frachtraums schlug, empfand er eine nie gekannte Zuneigung zu diesem untoten Geschöpf. Silvio spürte die unnatürliche Kühle, die von Marcels Haut ausging und die dennoch eine sanft-lodernde Glut in seinem Körper entfachte. Seine Wange streifte die des Freundes und wie von selbst fanden ihre Lippen zueinander. Aus ihren ersten behutsamen Berührungen und einem scheuen Kuss entstand bald eine intensive Nähe. So kam es, dass sie in dieser Nacht zum ersten Mal ihr Lager miteinander teilten.
    Als Silvio zum ersten Mal mit seinen Fingerspitzen über das eingebrannte Siegel der Lilie in Marcels Nacken dicht unter dem Haaransatz strich, zuckte dieser zusammen und atmete tief ein. Der Junge hielt kurz in seinen Zärtlichkeiten inne und sah Marcel fragend an. Hatte er ihm unabsichtlich wehgetan? Das Brandmal konnte nicht frisch sein. Silvio hatte deutlich die Konturen der Verräterlilie mit seinen Fingern erspürt, aber dieses Mal brannte man den Verurteilten deutlich sichtbar auf die Schulter und nicht so klein an dieser empfindlichen, versteckten Stelle. Doch Marcel gab keine Erklärung von sich, sondern erstickte stattdessen die aufkeimende Frage durch den Druck seiner Lippen. Silvio beschloss, niemals ein Wort über dieses seltsame Mal zu verlieren.
    Er gestattete dem gefährlich-schönen Wesen in seinen Armen nach einer Weile sogar, von seinem Blut zu trinken, doch Marcel nahm nur so viel, dass er den Jungen nicht schwächte. Er wusste ja, wie hart dieser auf dem Schiff arbeiten musste. Das Gute war, dass auf diesem riesigen Segler niemand Silvio des Nachts vermisste. Wenn kümmerte es, wo ein Schiffsjunge schlief, solange der sich nicht an den Vorräten oder dem kostbaren Trinkwasser vergriff?
     
    Die Offiziere und der Kapitän hatten genug damit zu tun, die Disziplin bei der über sechshundert Mann starken Besatzung an Bord aufrecht zu erhalten. Aber wie sollte Silvio einen Vampir auf einem Kriegsschiff über mehrere Wochen ernähren? Die Verpflegung für die menschliche Besatzung dagegen war – verglichen mit der auf dem Frachter – wenigstens etwas besser was die Portionen anging, wenn auch nicht nahrhafter. Natürlich gab es auch hier den obligatorischen Zwieback und zähes, nach Salz schmeckendes Pökelfleisch. Außerdem waren Zitrusfrüchte Pflicht für die Männer an Bord als Vorbeugung gegen den gefürchteten Skorbut. Sonntags gab es dann ab und zu Frischfleisch, um welches sich die Besatzung fast prügelte. Schließlich sollten die Männer für die

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