Im Bann der Lilie (Complete Edition)
schmerzhaft aus seinem Mund. Der Junge biss wieder die Zähne zusammen. Staffords hatte wirklich kaum eine Stelle ausgelassen.
„Ich bin Marcel.“
„Wie lange bist du schon an Bord?“ Automatisch war der junge Italiener in das vertraute „DU“ gefallen.
„Seit Cádiz“, log Marcel. Zuviel wollte er dem Fremden auch nicht verraten. Lieber lenkte er von sich selber ab.
„Du hast aber keinen spanischen Akzent“, bemerkte der Junge.
Kluges Kind. „Kein Wunder, ich bin Franzose“, gab er dann laut zu.
Silvio fuhr erschrocken herum.
„Ja, ja, ich weiß, der böse Feind. Hör zu, ich hab mit dem ganzen Kram nichts zu tun. Ich bin nur auf der Suche nach einem Freund, und der treibt sich ausgerechnet bei diesem General Napoléon herum“, maulte Marcel, unzufrieden über diese ganze Situation. Immer noch fragte er sich, warum er nicht einfach zubiss!
„Na ja, verhungern wirst du hier nicht“, lachte Silvio leise und deutete auf die Vorräte aus Trockenfisch und Konserven, die hier gestapelt waren.
„Hmm“, brummte Marcel nur und Wenn du wüsstest!, antwortete er in Gedanken. Woher würde er nun seine Nahrung beziehen, wenn er diesen Jungen verschonte?
„Morgen Abend werden wir in Neapel einlaufen. Dann will ich mich von Bord schleichen, wenn Staffords mit seinen Kumpanen durch die Hafenkneipen zieht. Die Ladung können wir sowieso erst am nächsten Tag löschen, wenn die Hafenarbeiter wieder da sind“, erzählte Silvio ihm jetzt seinen Plan.
„Vorausgesetzt, er lässt dich vorher hier heraus“, warf Marcel ein.
Er machte sich um den kurzen Aufenthalt in Italien keine Sorgen. Die Fracht für Neapel befand sich in einem weiteren Frachtraum im Vorschiff, diese würde erst am nächsten Morgen gelöscht werden und einige Unruhe auf dem Schiff auslösen. Marcels Kiste war für die Hafenstadt Abukir bestimmt und lag im hinteren Laderaum. Hier würde man höchstens die Wasserfässer austauschen, oder ein paar Lebensmittel herausholen.
Jetzt ging der Vampir noch einmal zu dem Wasserfass und tauchte das Tuch erneut hinein, um es danach Silvio zu reichen. Dieser war entsetzt, dass Marcel das kostbare Trinkwasser so verschwendete, sagte aber nichts. „Wasch dir wenigstens mal das Gesicht“, forderte der blinde Passagier den Schiffsjungen jetzt auf.
Silvio nahm das Tuch und fuhr damit über sein Antlitz, den Hals und die Arme. Anschließend wrang er es über seinem Kopf aus. Mehr als eine Katzenwäsche war nicht drin. Aber genug für Marcel, um zu erkennen, dass er sich nicht getäuscht hatte. Silvio war wirklich ausnehmend hübsch. Mit seinem Blick verfolgte er die Wassertropfen, die sich von den braungebrannten Wangen bis in den Haaransatz schlängelten und hinunter zu dem zarten Hals, dessen Schlagader den Lebenssaft verbarg, nach dem er gierte. Weiter hinunter über die haarlose Brust bis zum Bauchnabel. Ein seltsam ziehendes Gefühl machte sich in ihm breit. Es irritierte ihn, und so fuhr er mit einer belanglosen Frage fort: „Wirst du in Neapel erwartet?“
Der Italiener schüttelte den Kopf.
„Das nicht, aber ich kann mich wenigstens auf die Suche nach meinen Verwandten machen. Meine Mutter kam aus Italien. Deine Suche wird wohl noch ein paar Wochen länger dauern.“ Ein leises Bedauern lag in seiner Stimme, so als hätte er Mitgefühl mit diesem Fremden. Ein Mensch, der ihn seit langen Jahren wieder gut behandelte! Vielleicht endlich ein Freund?
Silvio hob plötzlich den Kopf und lauschte. Die Schiffsglocke oben an Decke verkündete gerade, dass es fünf Uhr morgens war. Es musste bereits dämmern. Eigentlich war es jetzt an der Zeit für ihn, seinen Dienst in der Kombüse anzutreten!
Da waren auch bereits die schweren Schritte des brutalen Maats auf der Treppe zu hören! Marcel verschwand in seiner Kiste und Silvio legte eilends den Deckel darauf. Schon drehte sich der Schlüssel im Vorhängeschloss und der Riegel wurde zurückgeschoben. Staffords massige Gestalt nahm fast den gesamten Türrahmen ein
„Los, Bursche, denk nur nicht, du kannst dich hier unten vor der Arbeit drücken. Wir laufen in wenigen Stunden in Neapel ein. Ich hab übrigens dafür gesorgt, dass wir beide die erste Nachtwache übernehmen. Dann bringen wir das Schiff mal so richtig auf Vordermann“, grinste der widerliche Kerl.
Für Silvio hieß das, dass er nicht unbemerkt von Bord kommen würde, während die anderen Landgang hätten. Staffords würde ihn keinen Augenblick allein lassen, außer man könnte ihn mit
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