Im Bann der Lilie (Complete Edition)
bei dem Chevalier“, stichelte er erneut. Dabei war ihm dieser Gedanke gar nicht so unangenehm, wobei er nicht wusste, für wen er sich entscheiden würde, denn er war ja nicht hinter einem Adelstitel her. Die beiden jungen Männer gefielen ihm ausnehmend gut, aber das wusste er wohl zu verbergen. Marie warf nun ihm einen wütenden Blick zu. Am liebsten hätte sie ihm irgendeinen festen Gegenstand an den Kopf geworfen.
„Ich hasse dich!“, zischte sie stattdessen. Immer noch versuchte sie verzweifelt, ihre Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Woher kam dieses unglaubliche Verlangen nach den gleichen Berührungen, die sie dort unten beobachtet hatte?
Clements gluckste.
„Wird Zeit, dass du unter die Haube kommst, damit du auch was davon hast.“
„Widerling!“
„Was denn? Gib's doch zu, du hast gerade zum ersten Mal gemerkt, dass du eine richtige Frau bist.“
Jetzt flog doch eine der kleinen Bronzefigürchen vom Boudoirtisch in seine Richtung. Clement wich aus und die Figur landete auf den weichen Kissen.
„Hey, kein Grund, mich umzubringen! Ich bin dein Zwilling, schon vergessen? Wenn ich nicht weiß, was in dir vorgeht, wer dann?“, protestierte er mit gespielter Empörung.
„Ach verdammt!“, kam es völlig undamenhaft aus dem Mund seiner Schwester, als sie sich ebenfalls in die Kissen fallen ließ. An Schlaf war für sie nicht mehr zu denken. Clement tröstete sie: „In vier Stunden geht die Sonne auf. Dann besorge ich uns eine Droschke und wir fahren nach Hause.“
Marie nickte nur und drehte sich herum. Den Traum, einmal in den Armen des Chevaliers zu liegen, musste sie in dieser Nacht begraben, nachdem, was sie gesehen hatte. Sie wollte ihn am liebsten niemals wiedersehen!
Im Palast des Ersten Konsuls herrschte im Herbst des Jahres 1800 eine ganz andere Art von Aufregung. Es braute sich etwas zusammen. Der Polizeiminister Fouche und seine Gefolgsleute befanden sich in höchster Alarmbereitschaft. Von Konspiration war die Rede und davon, dass London wieder einmal seine Finger im Spiel haben sollte. Napoleon selbst schien unerschrocken. An diesem Tag hielt er sich nach einem einfachen Frühstück schon vor dem ersten Hahnenschrei in seinem Arbeitszimmer auf. Immer wieder warf er einen Blick auf die handgeschriebene Botschaft vor ihm. Wieder eine dieser geheimnisvollen Meldungen unbekannter Herkunft. Diese hier lautete:
„Es schweben Dolche in der Luft; hütet Euch!“
Es klopfte. Einer der Adjutanten trat ein, salutierte. „Mon général, der Marquis de Montespan möchte Euch sprechen.“
„Bittet ihn herein.“
Trotz der Drohungen war Bonaparte außergewöhnlich friedlich gestimmt. Gestern war die Kopie des Gemäldes fertig geworden. Beide Bilder standen nun nebeneinander auf einer Staffelei. Das Original zum zweiten Mal gerahmt und die Kopie in einem Rahmen der gleichen Art. Ob der Marquis irgendeinen Unterschied bemerken würde?
Julien de Montespan betrat den Raum, verneigte sich grüßend. Napoleon winkte ihn heran und präsentierte stolz das Werk seines Malers. „Nun?“, wollte er wissen.
Der Marquis betrachtete abwechselnd die beiden Ölgemälde. Wäre da nicht der Geruch von frischer Farbe gewesen … obwohl … den Ausdruck auf dem Gesicht seines Schützlings hatte der Kopist zwar getroffen, aber dieser Ausdruck in den Augen des Originals … da fehlte etwas, was vielleicht nur ihm auffiel. Diese Mischung als Engel und Raubtier war zwar da, aber der Blick aus Unschuld und Verdammnis wurde nur abgeschwächt wieder gegeben. Julien lächelte. Wenigstens in dieser Form konnte er Marcel nun wieder bei sich haben. Er griff nach dem Original und hob es von der Staffelei. „Ich danke Euch, Monsieur.“
Bonaparte staunte nicht schlecht, wie zielsicher der Marquis das Original gewählt hatte.
Dieser verneigte er sich erneut und verließ den Raum mit dem Bild, das ihn fortan an seine verlorene Liebe erinnern würde. Jetzt fühlte er sich auch diesem Townsend nicht mehr verpflichtet. Sollten die Briten doch machen, was sie wollten.
Napoleon wollte den geheimnisvollen Marquis nicht so ohne weiteres aus den Augen lassen. Immer noch spürte er, dass diesen Mann etwas Besonderes umgab.
Nach der Aufdeckung der Verschwörung der Dolche am 24. Oktober 1800 sollte es ein rauschendes Fest geben, zu dem der Marquis ebenso eingeladen wurde wie die wohlhabenden Bürger von Paris, denn die Kriegskassen mussten beständig aufgefüllt werden! Nichts war in diesen unruhigen Zeiten so wichtig wie
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