Im Bann der Lilie (Complete Edition)
die Geldleute. So kam es, dass auch den Devereaux‘ eine Einladung ins Haus flatterte.
Zwei Wochen später war es soweit:
Die Musik, die Lichter, die kostbaren Roben und die Höflichkeitsfloskeln konnten nicht über die immer noch angespannte Situation im Lande hinweg täuschen. Dennoch ergriff man gerne diese Gelegenheiten, um sich zu amüsieren, alte Freunde zu treffen, vielversprechende Ehen zu einzufädeln und – neue Intrigen zu spinnen.
Auch Monsieur Devereaux war wieder auf der Jagd nach einem passenden Ehemann für seine verwöhnte kleine Tochter, die in den letzten Wochen so merkwürdig still geworden war. Verklungen war das kindliche Kichern bei Tisch. Fast schon machte er sich Sorgen. Sie wollte doch wohl nicht etwa in ein Kloster eintreten? Der Gedanke, dass er sein schönes Vermögen in Form der Mitgift an eine solche Institution verschwenden sollte, verursachte ihm Magendrücken. Umso erfreuter war die Familie über die Einladung und den Glanz in Maries Augen aus Vorfreude über ihre Teilnahme daran. Hier würde es nicht an Verehrern mangeln! Nicht im mindestens ahnte Papa Devereaux, dass zunächst sein Sohn in das Visier eines erfahrenen Jägers geraten würde!
Beim Tanzen einer Quadrille glitt Clements Hand in die des Marquis. Wie ein leichter elektrischer Schlag durchzuckte es den jungen Mann. Sein Gegenüber wahrte die vorgeschriebene Distanz, verbeugte sich leicht. Dabei hatte der Marquis auf einen Blick erkannt, dass er einen wahren „Unschuldsengel“ an der Hand hielt. Betont wurde dieser Eindruck noch vom goldschimmernden, schulterlangen Haar des jungen Devereaux, das in Wellen um sein Haupt floss und im Kerzenlicht den Anschein eines Heiligenscheines erweckte. Ein Engelchen, das mit dem Teufel tanzt , dachte er dabei, welch amüsante Vorstellung.
„Julien de Montespan“, stellte er sich dann leise vor, als der Tanz sie einander näher brachte, um sie gleich darauf wieder zu trennen. Beim nächsten Zusammentreffen war es an dem blonden Jüngling, sich vorzustellen. Als der Tanz geendet hatte, sich die älteren Damen zu einer Erfrischung zurückzogen und das Orchester bereits einen lebhaften Rigaudon anstimmte, trafen die beiden ungleichen Männer in einem der Salons, in dem meist Herrengespräche geführt und politisch gefachsimpelt wurde, wieder aufeinander. Clement wusste nicht so recht, wie er das Interesse des Älteren deuten sollte, als der hochgewachsene Adelige auf ihn zuschritt. Eher hilfesuchend blickte sich der Junge nach seinem Vater um, doch er war nicht hier.
„So jung und schon an Feldzügen und Kolonialpolitik interessiert?“, fragte der Marquis den zurückhaltenden Jüngling.
„Nein … ich … suche meinen Vater“, gab dieser eher stotternd zur Antwort.
„Dachte ich's mir doch, Ihr habt Euch also nur verlaufen“, war die spöttische Antwort.
„Monsieur, ich bin doch kein Kind mehr“, protestierte Clement mit blitzenden Augen.
Julien lachte leise. Welch ein herrlicher Anblick waren diese empört funkelnden Aquamarinaugen mit einer Spur von Grün unter dem goldenen Haar. Wäre da nicht Marcel in seinem Herzen gewesen – wie leicht hätte er sich da vergessen können. Oder sollte er es wagen …?
„Natürlich nicht“, gab er entschuldigend zu, „verzeiht einem alten Aristokraten.“
„Ihr seid tatsächlich ein Adliger?“, erkundigte sich Clement erstaunt.
„Aber natürlich, ein echter Marquis“, schmunzelte Julien und nahm einen Schluck aus seinem Cognac-Glas. Jetzt musste der Junge leise lachen.
„Was ist so komisch daran?“, fragte der Marquis etwas konsterniert.
„Nun ist es an mir um Verzeihung zu bitten, Monsieur le Marquis, aber lasst Euren Titel nicht meinem Vater zu Ohren kommen. Er ist schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem großen Namen, dem er meine Schwester anvertrauen kann. Ich glaube, er würde jedem Adligen ein Angebot machen, den er heute hier antrifft.“
Die beiden ungleichen Männer brachen beide in Lachen aus bei dem Gedanken. Julien näherte sich dem eher zierlich gewachsenen blonden Engel. Er neigte sich vor und raunte ihm ins Ohr. „Was, wenn ich Eure Gesellschaft der Eurer Schwester vorziehen würde?“
Clement stockte der Atem. War das ein Kompliment oder etwa gar ein Angebot? Er betrachte sich den Marquis näher: Das glatt zurückgekämmte, dichte silbergraue Haar, an den Schläfen unterbrochen von schwarzen Strähnen. Ein markantes, bartloses Gesicht mit kühlen, durchdringenden Augen, die ihn
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