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Im Bann der Träume

Im Bann der Träume

Titel: Im Bann der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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in das Gesichtsfeld Charis’. In der schuppigen Hand lag eine elfenbeinweiße Scheibe. Und als Charis sie gesehen hatte, konnte sie die Augen nicht mehr davon abwenden. Ein blitzartiges Gefühl des Unbehagens, und dann …
    Dann war keine Küste mehr da, keine flüsternden Wellen. Sie befand sich in einem Raum mit glatten Wänden, die wie Opale schimmerten, als seien sie mit Perlmutt ausgelegt. Durch ein Fenster sah sie die offene See und den Himmel. Und unter dem Fenster war eine dicke Matte ausgebreitet, und darauf lag zusammengefaltet eine flaumige Federdecke. »Für die Müde, ruhe jetzt.«
    Charis war allein, nur das kleine Pelztierchen hielt sie noch im Arm. Aber der Vorschlag, nun zu ruhen, war ein fast nachdrücklicher Befehl; sie ging also zur Matte, legte sich nieder und zog die Flaumdecke über ihren müden, schmerzenden Körper. Und dann war sie in einer anderen Zeit …
    Sie ahnte nicht einmal, wohin sie ging; sie erinnerte sich später auch nur an winzige Kleinigkeiten, an Fetzen von Gedanken, an Splitter dessen, was sie sah und hörte. Alles schien in ein Unterbewußtsein zu versinken, um dann wieder aufzutauchen, wenn sie es brauchte; und sie wußte nicht, welche Geheimnisse sie kannte. Es war Lernen, Üben, Versuch, alles in einem.
    Als sie wieder erwachte, war sie immer noch Charis Nordholm, aber sie war gleichzeitig jemand anders, jemand, der an den Bechern einer Weisheit genippt hatte, wie noch keiner ihrer Rasse je vorher. Sie konnte den Rand dieser Macht fassen, sich ein wenig daran festhalten, doch dann schlüpfte ihr das volle Wissen um dieses Geheimnis durch die Finger, so als habe sie versucht, das Wasser der See mit den Händen festzuhalten.
    Manchmal schienen ihre Lehrmeisterinnen enttäuscht zu sein, als sei sie nicht aufnahmefähig genug; sie war zornig auf sich selbst und schämte sich, wenn sie am Rand einer Erkenntnis zögernd stehenblieb. Sie wußte von den Grenzen, die ihre Natur ihr gesetzt hatte, und trotzdem kämpfte sie dagegen an.
    Was war nun Traum? War es das Sein in jener anderen Welt, oder das Erwachen? Sie wußte, daß der Raum, in dem sie sich befand, zur Zitadelle des Inselkönigreiches der Wyvern gehörte, und sie wußte ebenso, daß andere Räume an anderen Orten nicht Teil der Zitadelle waren. Sie kannte die Tiefen der See. War sie körperlich dort, oder nur in ihrem Traum? Sie tanzte und rannte die sandige Küste entlang mit Gefährtinnen, die ebenso überwältigend fröhlich waren wie sie. Das, davon war sie überzeugt, mußte Wirklichkeit sein.
    Sie lernte es, sich mit dem Pelztierchen zu verständigen, wenn auch natürlich in Grenzen. Tsstu hieß sie und gehörte einer seltenen Art an, die in den Wäldern hauste. Sie war nicht mehr ganz Tier, aber auch nicht »menschlich«, sondern ein Bindeglied zwischen den beiden Rassen, nach dem die Menschen seit vielen Jahrhunderten gesucht hatten.
    Tsstu, die Wyvern und ihre Halbtraumexistenz nahmen sie ganz gefangen. Erinnerungen verschmolzen miteinander und mit unwirklichen Träumen. Aber aus diesem Halbtraum mußte es einmal ein Erwachen geben.
    Und es kam in einer Zeit, die Charis für wirklich hielt, denn sie war in der Zitadelle auf einem Inselchen vor der Küste, an der sich die Niederlassung befand. Sie hatte ihre Gefährtin Gytha neckend gebeten, doch ihre Träume mit ihr zu teilen, aber die junge Wyvern schien geistesabwesend zu sein oder mit jemandem ihrer Art in Rapport zu stehen, so daß sie in deren Gedanken nicht einzubrechen vermochte.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte sie in Gedanken und griff instinktiv nach der geschnitzten Scheibe in ihrem Gürtel, die sie ihr gegeben hatten. Sie konnte damit einigermaßen geschickt umgehen, wenn sie einen Ortswechsel vornehmen oder sich gegen die Gabelschwanzwesen zur Wehr setzen mußte. Vollen Gebrauch von der Kraft dieser Scheibe würde sie wohl nie machen können. Selbst die Große Weise Gysmay, die Leserin der Stäbe, äußerte sich nie eindeutig zu dieser Frage, obwohl sie in die Zukunft schauen konnte.
    »Nein, nicht so, Gefährtin meiner Träume«, kam die Antwort von Gytha, die gleichzeitig nach Irgendwohin verschwand. Sie ließ die schwache Spur eines Gefühls zurück, das Unbehagen bedeutete und mit ihr, Charis, zusammenhing.
    Warm und tröstend lag die kleine Scheibe in ihrer Hand. Sie mußte damit üben, das war sehr wichtig. Jeder Versuch führte sie einen Schritt weiter. Der Tag war freundlich, und sie würde ihn gern genießen. Warum sollte die

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