Im Bann der Träume
Scheibe sie nicht an die sandige Küste bringen? Tsstu war sehr unruhig gewesen; auch sie würde es sicher dankbar genießen, wenn sie zur Mooswiese zurückkehren konnte. Die Erinnerung rückte weiter – der Mann von der Überwachungsbehörde. Irgendwie hatte sie ihn vergessen, nur die Niederlassung und die Händler waren manchmal in ihren Träumen aufgetaucht.
Sie schloß ihre Finger um die Scheibe und dachte an Tsstu. Die Antwort »meerree« kam sofort aus dem Korridor. Charis stellte sich die Mooswiese vor, fragte, erhielt freudige Zustimmung; sie nahm das Tierchen auf und drückte es an sich. Dann holte sie den einzelnen Baum, von dem sie die Früchte gepflückt hatte, in ihr Gedächtnis zurück. Tsstu entwand sich Charis’ Arm, stellte sich auf die Hinterbeine und zappelte begeistert mit den Vorderpfoten, bis Charis hellauf lachte. Schon lange nicht mehr hatte sie sich so jung und unbeschwert gefühlt wie jetzt. Die Arbeit als Assistentin ihres Vaters hatte ihre ganze Energie beansprucht und sie vorzeitig ernst werden lassen. Und alles war so dunkel gewesen, bis die Wyvern aus der See gestiegen und auf sie zugekommen waren. Und jetzt war sie sorglos und unbeschwert und genoß die wundersame Schönheit und Ruhe der Meeresküste.
Die Sonne schien ihr direkt in das Gesicht. Ihr Haar, das die Wyvern immer ein wenig verblüffte, war mit einem Band zurückgebunden, das ebenso grün war wie die Tunika, die sie nun trug.
Ihre Füße waren jetzt geschützt. Sie trug Sandalen aus Muschelschalen, die völlig unempfindlich zu sein schienen, dabei aber federleicht waren, so daß Charis sie gar nicht spürte. Sie tat ein paar übermütige Tanzschritte auf dem sanften Moos – und da hörte sie das Geräusch, vor dem sie sofort in die Deckung niedriger Äste flüchtete.
Ein Hubschrauber kam aus dem Südosten heran. Er sah genauso aus wie jeder andere seiner Art, aber er trug das Emblem des Überwachungsdienstes, den Schwingenplaneten mit goldenem Schlüssel. Er bog ab über die See, genau in Richtung der Zitadelle.
Während der ganzen Zeit, die sie bei den Wyvern verbracht hatte, waren diese nie mit anderen Außenweltlern in Verbindung gewesen als mit ihr. Sie hatten sie auch niemals erwähnt. Erst jetzt begann Charis darüber nachzudenken. Warum hatte sie selbst niemals Fragen über den Regierungsposten gestellt, warum hatte sie nie versucht, die Wyvern darum zu bitten, sie dorthin zu senden? Sie schien ihre eigene Rasse vergessen zu haben, seit sie bei den Einheimischen von Warlock war. Und das war, wenn sie es sich jetzt überlegte, ziemlich unnatürlich.
»Meerree?« Ein Pfötchen tippte an ihren Knöchel. Tsstu schien Charis’ unbehagliche Gedanken begriffen zu haben. Aber des Tierchens Besorgnis war nur zum Teil tröstlich.
Die Wyvern hatten nicht gewünscht, daß Charis zu ihrer eigenen Rasse zurückkehrte. Die Barriere hatte sie nach ihrem Erwachen an der Küste davon abgehalten, ihre Spuren zur Niederlassung zurückzuverfolgen, und jetzt war sie in Deckung gegangen, damit der Mann im Hubschrauber sie nicht sah. Sie hatte nur Freundlichkeit, Liebe und Unterweisung von den Wyvern erfahren. Aber warum hatten sie versucht, sie von ihrem eigenen Blut zu trennen? Wozu sollte ihr das nützen?
Nützen – ein kaltes Wort, doch ihr Geist war nur allzu bereit, sich daran zu klammern. Jagan hatte sie hierhergebracht, um sie als Kontakt zu diesen fremdartigen Wesen zu benützen. Dann hatte man sie an das Ufer der See gebracht. Nun, da Charis das alles verstand, wurde sie frei von dem Entzücken, das sie an die Wyvern und ihr Irgendwo band.
Der Hubschrauber war nicht mehr zu sehen oder zu hören. Wie leicht hätte er sie entdecken können! Sie rief nach Tsstu, hob sie hoch und konzentrierte sich auf die Scheibe, um zurückzukehren.
Nichts. Sie war noch immer auf der Mooswiese unter dem Baum. Wieder stellte sich Charis in allen Einzelheiten den Raum vor, in dem sie sein wollte; das Bild war da in ihrem Geist; aber nur dort.
Tsstu wimmerte und drückte ihr Köpfchen an Charis’ Kinn. Die Angst des Mädchens hatte sich dem Tier mitgeteilt. Wieder versuchte es Charis. Aber auch diesmal geschah nichts. Es war, als sei die in der Scheibe konzentrierte Kraft abgeschaltet; von den Wyvern abgeschaltet. Charis wußte das so genau, als habe man es ihr gesagt.
Sie hob die Scheibe erneut, stellte sich aber diesmal jene Stelle am Plateau vor, wo das geheimnisvolle Festmahl für sie bereitgestanden hatte; Seewind in den Haaren;
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