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Im Bann der Träume

Im Bann der Träume

Titel: Im Bann der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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schneller und sicherer. Die Wellenlinien mit den Kringeln, eine Unterbrechung, zwei kleine Ovale – nicht genau an der Stelle, wo Tsstu sie hinterlassen hatte, aber doch …
    »Meerreeee!«
    »Ja!« rief Charis triumphierend. »Ist das richtig, meine Kleine? Und wohin wollen wir gehen?«
    Aber sie wußte, daß sie sich bereits entschieden hatte. Kein Ort, sondern ein Mann war ihr Ziel. Falls sie Lantee dann doch nicht erreichte, mußte sie zur Mooswiese zu kommen versuchen, denn von dort aus mußte sie zur Niederlassung zurückfinden. Den damit verbundenen Zeitverlust konnte sie sich allerdings nicht leisten; deshalb war Lantee ihr erstes Ziel.
    Umsichtig baute sie das geistige Bild Lantees auf, fügte eine Kleinigkeit zur anderen und entdeckte, daß sie ihn eigentlich genauer kannte, als sie geglaubt hatte. Sein schwarzes, kurzes Haar lockte sich fast so wie das Tsstus; sein braunes, nüchternes Gesicht wurde weich um Mund und Augen, wenn er lächelte; sein schlanker, drahtiger Körper in der grün-braunen Uniform seiner Einheit; seine hohen kupferfarbenen Stiefel; sein Gefährte Taggi, der an ihnen den Kopf rieb. Besser den Wolf weglassen; ein zweites lebendes Wesen konnte Verwirrung stiften.
    Aber die beiden waren nicht zu trennen. Mann und Tier gehörten zusammen. Noch mal begann sie das Bild aufzubauen, so wie sie Shann Lantee gesehen hatte, bevor sie nach Gytha rief. Ja, genauso hatte er dagestanden, genauso dreingesehen. Jetzt!
    Tsstu kuschelte sich wieder in ihren Arm, und in ihren Krallen fingen sich in Charis’ schon zerschlissener Tunika. Sie lächelten einander an. »Wollen wir’s versuchen, bevor du mich restlos in Streifen zerlegt hast?« fragte sie.
    »Mreeee!« Das war volle Zustimmung. Tsstu schien keinen Zweifel daran zu haben, daß sie bald an einem anderen Ort sein würden.
    Charis starrte auf das Muster hinunter. Kalt … kein Licht …
    … Leere, schreckliche Leere. Kein Leben. Ein Schmerz war in ihrem Geist, der sie den Mund zu einem Schrei öffnen ließ. Lantee? Wo war Lantee? Tot? War sie ihm in den Tod gefolgt?
    Kalt. Doch diesmal war es eine andere Kälte. Licht … Und dieses Licht war das Versprechen eines Lebens, das sie kannte und verstand. Charis kämpfte gegen eine entsetzliche Müdigkeit und Übelkeit, die der Schmerz hinterlassen hatte, denn er stammte aus einem Ort, wo es kein Leben gab.
    Ein scharfer Geruch, ein tiefes Knurren und Tsstus warnendes »rrrrugh!« Charis sah die felsige Öde und den braunen Taggi. Der Wolf knurrte, wich zurück, tat einen Sprung vorwärts. Charis spürte des Tieres Angst und Entsetzen; und dann sah sie die Gestalt, die in einer schmalen Rinne lag.
    »Lantee!« Charis’ Erkennungsschrei war fast wie ein Dankgebet. Ihr Spiel war gelungen. Sie hatte den Mann, den sie gesucht hatte, erreicht.
    Doch er antwortete nicht; nur Taggi rannte ihr entgegen. Er schien sie um Hilfe zu bitten. Lantee mußte verletzt sein. Charis lief auf ihn zu.
    »Lantee!« Sie fiel neben der Rinne, in die er sich geflüchtet hatte, auf die Knie. Dann sah sie sein Gesicht. Als sie ihn zum erstenmal gesehen hatte, war es wachsam und ablehnend gewesen – aber lebendig. Dieser Mann hier atmete; sie sah, wie seine Brust sich hob und senkte. Sie berührte seine Wange; die Haut war weder fieberheiß, noch strömte sie die Kälte des Todes aus. Aber er schien nur noch eine Schale zu sein, aus der jemand das Leben genommen hatte. Hatten das die Wyvern getan?
    Sie hockte sich auf die Fersen und sah sich um. Sie war nicht auf der Lichtung vor der Niederlassung; also war er nicht dortgeblieben, wo sie ihn hatte fallen sehen. Sie konnte die See hören; also mußten sie in der Nähe der Küste sein.
    »Lantee! Shann!« rief sie, aber noch immer bewegten sich seine Lider nicht, und kein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Der Wolf drängte sich an sie. Sanft nahm er ihre Hand in das Maul, als bitte er um ihre Aufmerksamkeit. Dann wandte er sich vom Meer ab und heulte eine Warnung über das Land.
    Bei Taggis Anblick hatten sich Tsstus Ohren flach an den Kopf gelegt. Jetzt klammerte sie sich an Charis. Sie fühlte etwas kommen. Ihre eigene Warnung kam scharf und befehlend. Sie mußten weg von hier.
    Charis griff nach Lantees Handgelenk, und ihre Finger schlossen sich eng darum, als sie ihn in die Höhe riß und mit sich zog. Sie wußte nicht, ob er ihr folgen würde. »Komm, komm«, sagte sie, »wir müssen gehen.« Vielleicht erfaßte er die Bedeutung dieser Worte nicht, aber er kletterte aus

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