Im Bann der Träume
ihrem Körper herunter. Sie sah sich um. Unter ihren Sandalen war Sand, silbriger Sand. Aber es war nicht das Ufer der See; sie sah nicht einmal klar, wo sie war, denn ein Nebel, ein zartgrüner Nebel von der Farbe ihrer Tunika bewegte sich in Spiralen und formte sich zu wolkigen Kissen. Dann hob er sich; etwas bewegte sich in der dunklen Mitte, und dann war ihr, als schiebe eine Hand einen Vorhang zur Seite. »Lantee!«
Er stand da und sah sie an; und jetzt war er nicht nur die Hülle eines Menschen, sondern Leben und Bewußtheit waren in ihn zurückgekehrt. Er streckte ihr die Hand entgegen.
»Traum?« fragte er.
War es ein Traum? Diese Klarheit hatte sie früher schon in den Anderswo-Träumen erlebt. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie.
»Du bist gekommen«, sagte er, ein erstauntes Erkennen in seiner Stimme. Sie verstand sein Staunen. Die vier nunmehr vereinten Flämmchen hatten die Fesseln zerrissen, die ihn an einem Ort festhielten, zu dem noch keiner seiner Rasse je vorgedrungen war. »Ja«, antwortete er, als habe Charis eine Frage gestellt, »du, Taggi und Tsstu, ihr seid gekommen, und zusammen sind wir ausgebrochen.«
»Aber das hier?« Charis deutete auf den grünen Nebel. »Was ist das?«
»Das ist die Höhle der Schleier, der Illusionen. Aber ich glaube, das ist wirklich ein Traum. Sie wollen uns noch immer nicht ganz freigeben.«
»Gegen Träume gibt es Mittel«, erklärte Charis, kniete nieder und strich den Sand glatt. Mit einer Fingerspitze zog sie die Linien ihres Musters. Es war in dem staubfeinen Sand nicht sehr klar zu erkennen, aber sie hoffte, so würde es genügen. Dann sah sie Lantee an.
»Komm«, sagte sie und streckte die Hand aus. »Denk an eine Felsnische …« Sie beschrieb ihm rasch den Platz, an dem sie die vergangene Nacht verbracht hatten. »Nicht loslassen. Wir müssen versuchen, dorthin zurückzukehren.«
Seine kräftigen Hände schlossen sich um die ihren, bis ihre Finger fast taub waren; und dann konzentrierten sie ihre ganze Energie auf das Bild dieser Höhle …
Charis fror, ihr Arm schmerzte, und ihre Hand fühlte sich taub an. Hinter ihr war Fels, und vor ihr lag sonniges Land. Sie hörte einen Seufzer und sah hinunter.
Da lag Lantee mit dem Kopf in ihrem Schoß, und seine Hand klammerte sich mit hartem Griff um die ihre. Sein Gesicht war hager und trug die Zeichen großer Erschöpfung, und er schien Jahre gealtert zu sein, aber die steinerne Ausdruckslosigkeit, die sie so sehr erschreckt hatte, war daraus gewichen. Er bewegte sich und öffnete die Augen. Erst sah er sie erschrocken an, doch dann erkannte er sie. »Ein Traum«, flüsterte er und hob den Kopf.
»Vielleicht. Aber wir sind jetzt wieder zurück, hier.« Charis entzog ihm ihre Hand und bewegte ihre verkrampften Finger. Mit der anderen Hand griff sie nach der improvisierten Mauer, als wolle sie sich von deren Wirklichkeit überzeugen.
Lantee setzte sich auf und rieb sich mit der Hand über die Augen. Nun fiel es Charis auf, daß die Tiere nicht da waren und rief nach ihnen. Keine Antwort. Eine entsetzliche Angst nagte an ihr. Die anderen Flämmchen waren doch die Tiere! Sie waren nicht bei ihr gewesen, als sie an jenem Platz mit dem grünen Nebel gewesen waren. Waren sie ihr für immer verloren?
»Aber sie waren doch dort mit dir«, sagte Lantee. Er kroch aus der Nische und pfiff. Nichts. Charis rief nach der Lockenkatze. Endlich vernahm sie einen Laut – ganz weit weg eine Antwort! Also war Tsstu nicht an jenem Ort geblieben. Aber wo war sie?
»Taggi lebt!« Lantee lächelte. »Er hat mir geantwortet. Die Antwort klang anders als je vorher, eher als habe er mit mir gesprochen.«
»Daß wir dort waren, kann doch in uns allen eine Änderung bewirkt haben, oder?«
Er überlegte eine Weile und nickte dann. »Du meinst deshalb, weil wir alle für kurze Zeit eins waren? Ja, vielleicht kann das niemals mehr ausgelöscht werden.«
Für einen Augenblick stand die Vision dieses Rennens durch einen endlosen Korridor mit den sich öffnenden Türen und schreienden Gestalten vor ihrem Gedächtnis. Waren das Lantees Erinnerungen, seine Gedanken gewesen? Nein, das wollte sie nicht noch mal erleben.
»Nein«, gab er ihr recht, ohne daß sie ein lautes Wort gesprochen hatte, »nein, nicht noch mal. Aber es war nötig …«
»Ja, es war nötig.« Doch Charts schreckte vor dem Gedanken daran zurück. »Aber wir haben jetzt andere Dinge zu bedenken als die Träume der Wyvern.« Sie erzählte ihm, was sie
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