Im Bann der Träume
unterstrichen von der raschen Berührung der kleinen Zunge an Charis’ Wange.
Sie stand auf. »Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten. Es ist Zeit.« Sie setzte die Lockenkatze auf den Boden, nahm das Band aus ihrem Haar und ließ die losen Strähnen über die Schultern fallen. Bis sie zum Posten kam, sah ihr Haar sicher unordentlich genug aus. Das Wyvernkleid konnte sie nicht ablegen, aber es war vom Klettern und Kriechen sowieso schon fleckig und schmutzig geworden. An Armen und Beinen hatte sie frische und halb verheilte Kratzer und Schrammen. Man konnte also schon den Eindruck gewinnen, daß sie längere Zeit in einer Wildnis herumgeirrt war. Inzwischen hatte auch die Wirkung der Energietabletten nachgelassen, so daß sie Hunger und Durst nicht zu spielen brauchte; die waren echt und sogar ziemlich quälend.
»Sei vorsichtig«, riet Thorvald, und er schien sie im letzten Augenblick noch zurückhalten zu wollen.
Der Kontrast zwischen dieser Warnung und dem, was wahrscheinlich vor ihr lag, erschien Charis so komisch, daß sie ein Kichern nicht unterdrücken konnte. »Paß du selber auf«, antwortete sie. »Wenn dich irgendein Schnüffler aus der Luft beobachtet hat…«
»Die können höchstens den Hubschrauber sehen, mich aber bestimmt nicht. Ich werde zu dir hineinkommen, sobald es irgendwie möglich ist.«
Diese Worte klangen Charis noch in den Ohren, als sie wegging. »Wenn ich kann«, hätte er eigentlich sagen müssen, überlegte sie. Nun war sie dem Abenteuer ausgeliefert, und Zerrbilder der Angst – Produkte einer lebhaften Phantasie – wirbelten um sie herum. Sie konzentrierte sich auf ihr Gedankenbild von Sheeha. Sie mußte jetzt Sheeha sein, wenn sie den Invasoren im Regierungsposten gegenübertrat, Sheeha, eine Frau, die von den Händlern mitgebracht worden war, um den Kontakt zu den Wyvern herzustellen; Sheeha, die unter dem Anprall der fremden Kraft zusammengebrochen war. Sie mußte Sheeha sein, nicht nur darstellen.
Taggi diente ihr als Führer und brachte sie von der Höhe, auf der der Hubschrauber gelandet war, sicher hinunter. Hier in der Niederung war es noch dunkel, und es fiel ihr schwer, den Weg zu finden. Zweige verfingen sich in ihren Haaren; sie riß sie los, und frische Kratzer fügten sich zu den älteren an Armen und Beinen. Aber all das war nur vorteilhaft.
Eine ganze Weile trug sie Tsstu, aber als sie in die Nähe der Kuppeln kamen, nahmen beide Tiere Deckung.
Die ersten Sonnenstrahlen ließen die Kuppeln wie Silbertropfen erscheinen, als Charis die Lichtung betrat. Sie brauchte keine Müdigkeit zu spielen; sie war unendlich müde und erschöpft; ihr Mund war trocken; jeder Atemzug schmerzte sie. Sie mußte nun wirklich als das erscheinen, was sie zu sein vorgab: als halb irrer Flüchtling, der sich durch eine feindliche Wildnis gekämpft hatte, um Schutz und Obdach in der Gesellschaft ihrer eigenen Rasse zu suchen.
In der zweiten Kuppel war eine nichtverschlossene Tür. Charis ging darauf zu. Etwas bewegte sich. Ein Mann in gelber Kleidung trat heraus und starrte ihr entgegen. Charis zwang sich zu einem Schrei, der in Wirklichkeit ein heiseres Krächzen war und taumelte vorwärts, fiel zusammen.
Rufe, Stimmen. Sie ließ alles so über sich ergehen, wie es kam, und konzentrierte sich nur darauf, dort erschöpft und bewegungsunfähig liegenzubleiben, wo sie gefallen war, keine Antwort zu geben, als man sie umdrehte, aufhob und in die Kuppel trug.
»Was hat denn eine Frau hier zu suchen?« fragte eine Stimme. »Die scheint durch den Busch gerannt zu sein. Schaut mal, wie verkratzt und schmutzig sie ist. Und eine Regierungsuniform ist das auch nicht. Sie ist nicht von hier. Sagst du dem Chef, was da gerade bei uns eingetrudelt ist?«
»Ist sie tot?« erkundigte sich eine dritte Stimme.
»Nein, bloß umgefallen. Aber woher kommt sie denn? Ist doch keine Kolonie auf diesem Planeten.«
»Daher, Chef. Sie ist gerade aus dem Busch gerannt gekommen. Dann hat sie Forg gesehen, hat etwas gekrächzt und ist aufs Gesicht gefallen.«
Magnetische Raumstiefelplatten klickten. Ein vierter Mann kam in den Raum, in dem sie lag.
»Ah, Außenweltler …« – das war eine neue Stimme. »Was hat denn die für einen Fetzen an? Eine Uniform ist das nicht, und von hier ist sie auch nicht.«
»Vielleicht vom Posten, Chef?«
»Vom Posten? Moment mal. Ah, stimmt. Die von der Handelsniederlassung haben eine Frau mitgebracht; die sollte mit den Schlangenweibern Kontakt aufnehmen. Aber nein,
Weitere Kostenlose Bücher