Im Bann der Wasserfee
Ragnar hinter ihm her war. Sonst hätte er in den vergangenen Jahren nicht immer wieder heimlich kleine Truppen nach Dänemark geschickt. Offenbar fürchtete er Vergeltung. Auch die zahlreichen Leibwächter sprachen dafür. Gradlon kannte Gwynedd und Cunedda ap Ehern. Ragnar musste vorsichtig sein mit allem, was er sagte und tat.
Kapitel 4
Ragnar kletterte nachts an der von Wildem Wein bewachsenen Außenmauer hoch. Kleinere Mauervorsprünge boten ihm Halt. Er musste im Gebäude sein, bevor die Wachmänner wieder den Palasthof patrouillierten. Diesmal wollte er Gradlons Räume aufsuchen.
Er hatte Glück, denn eines der Fenster stand offen. Schweiß stand Ragnar auf der Stirn, da es schwül war. Vorsichtig erklomm er das Fensterbrett und kletterte in den Schlafraum.
Dass der Mann im Bett nicht Gradlon war, erkannte er auf den ersten Blick. Wie war das möglich? Er konnte sich nicht geirrt haben. Mehrfach war er Gradlon heimlich durch die Gänge des Palastes gefolgt. Zudem hatte er die Fenster sorgfältig abgezählt.
Die Matratze knarrte, als der Mann sich umdrehte. Er setzte sich auf und sah ihn Richtung des Fensters. Ragnar erstarrte. Er stand hinter dem Vorhang. Womöglich erblickte der Mann ihn nicht.
Der Mann sprang aus dem Bett und lief auf ihn zu. Ragnar reagierte sofort. Er holte aus und schlug den Mann bewusstlos. Im Schutz der Dunkelheit hatte dieser ihn vermutlich nicht erkannt.
»Was ist da drin los?«, vernahm er eine Stimme aus dem Flur.
Er starrte aus dem Fenster. Glücklicherweise war niemand in Sicht. Er hoffte, dass dies so blieb, bis er im Schutz der Büsche war. Schnell sprang er aufs Fensterbrett. So schnell er konnte, schwang er sich aus dem Fenster und kletterte die Wand hinab. Den Rest des Weges – etwa Manneshöhe – sprang er.
Ragnar schaffte es gerade zum nächsten Gebüsch, da bogen Wächter um die Ecke. Oben am Fenster schrie jemand.
Die Männer eilten zum Palasteingang. Ein paar durchsuchten die Gebüsche. In gebückter Haltung schlich Ragnar weiter in die den Wachen entgegengesetzte Richtung. Dabei versuchte er, nicht versehentlich auf einen Ast zu treten. Er hastete hinter einen der Büsche, als er zwei Wachmänner vorbeikommen sah. Diese gingen in verschiedene Richtungen und prüften alle Versteckmöglichkeiten.
Einer davon kam genau auf ihn zu. Als der Mann nahe genug war, rammte Ragnar ihm seine Faust zwischen den Zweigen hindurch ins Gesicht und rannte los. Aufgrund seiner Berserkerkräfte war er schneller als gewöhnliche Menschen. Zweimal musste er sich wieder in Büschen verstecken, doch diesmal hatte er das Glück, unentdeckt entkommen zu können. Doch wirklich aufatmen würde er erst morgen, wenn sicher war, dass der Wächter ihn nicht erkannt hatte, was zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich war.
Am Deich entlang lief Ragnar durch die dunklen Gassen. Erst in den frühen Morgenstunden kehrte er zum Palast zurück. Das dort herrschende Chaos würde es ihm leichter machen, unbehelligt zu seinen Räumen zu gelangen.
Es war die Hölle los im Palast. Alle rannten durcheinander, was ein heilloses Chaos erzeugte. Jeder wollte etwas über den Mordversuch am König erfahren.
Die Menschen hier liebten Tratsch und Klatsch, was Ragnar zugutekam. Er erfuhr, dass König Gradlon mehrere Schlafzimmer besaß, mindestens vier, die er regelmäßig wechselte. Die anderen Räume besetzte er mit Wachmännern. Tagsüber umgab ihn ein ganzes Heer an Leibwächtern.
König Gradlon musste krank vor Angst sein und er tat gut daran. Sie war keineswegs unbegründet. Der Mann hatte fast so viele Feinde wie Malgven. Sich mit dieser Frau eingelassen zu haben, würde Gradlons Untergang sein.
Endlich erreichte Ragnar sein Gemach und schloss es hinter sich ab.
Mit der Dunkelheit kamen die Schatten. Sie bewegten sich lautlos durch die Nacht und waren Meister des Verbergens. Doch Niamh spürte ihre Anwesenheit in ihrem Gemach trotzdem. Es kribbelte zwischen ihren Schulterblättern. Die Stelle des Raumes, wo sich die Schatten befanden, schien zu vibrieren.
»Hat unsere Königin den Mann geschickt, der sich Rhain Bedwyn nennt?« fragte Niamh.
Die Finsternis in der Zimmerecke verdichtete sich. »Wir waren es nicht.« Die Stimme klang wie ein Zischen.
Es musste eine Lüge sein, denn woher sonst wusste Rhain von Gwragedd? Außerdem war den Schatten nicht zu trauen.
»Er wollte Dahut töten«, sagte Niamh.
»Das wissen wir.«
Natürlich wussten sie es. Sie wussten
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