Im Bann der Wüste
stand. Der Jhag stand vollkommen reglos, den Kopf in den Nacken gelegt, um die gewaltige Konstruktion, die vor ihm aufragte, zur Gänze erfassen zu können.
Die eisernen Zahnräder zeigten kein Anzeichen von Rost oder Abnutzung, und sie bewegten sich zweifellos noch immer – in einer Weise, die die Augen eines Sterblichen nicht wahrnehmen konnten. Die gewaltige Scheibe, die das Objekt beherrschte, war geneigt aufgestellt; ihre marmorne Oberfläche war über und über mit eingravierten Symbolen bedeckt. Sie war auf die Sonne ausgerichtet, auch wenn das glühende Himmelsauge durch den goldenen Staubschleier kaum zu sehen war.
Mappo ging langsam zu Icarium hinüber. Zwei Schritte hinter dem Jhag blieb er stehen.
Icarium musste gespürt haben, dass er da war, denn der Jhag begann zu sprechen. »Wie kann das sein, mein Freund?« Seine Stimme klang wie die eines verlorenen Kindes, und sie fuhr dem Trell mitten durchs Herz wie ein mit Widerhaken versehener Pfeil.
»Das ist von mir, verstehst du«, fuhr der Jhag fort. »Es ist ein … Geschenk von mir. Zumindest steht das hier, in dieser alten Omtose-Inschrift. Mehr noch, ich habe – bewusst, mit eigener Hand – das Jahr markiert, in dem es konstruiert wurde. Und sieh nur, wie die Scheibe sich gedreht hat, sodass ich die Omtose-Entsprechung für dieses Jahr sehen kann … was es mir möglich macht, auszurechnen …«
Seine Stimme erstarb.
Mappo schlang sich die Arme um den Oberkörper. Er war unfähig zu sprechen, unfähig zu denken. Schmerz und Furcht stiegen in ihm auf, bis er sich ebenfalls wie ein Kind fühlte, das plötzlich Auge in Auge einem Albtraum gegenübersteht.
»Sag mir, Mappo«, ergriff Icarium schließlich wieder das Wort, »warum haben die Zerstörer dieser Stadt das hier nicht auch zertrümmert? Gut, es ist von Magie umhüllt, die es gegen den Zahn der Zeit immun macht … aber das war auch bei den sieben Thronen der Fall … und auch bei vielen anderen Geschenken in diesem Kreis. Schließlich können alle Dinge, die geschaffen wurden, auch zerbrochen werden. Warum also, Mappo?«
Der Trell betete, dass sein Freund sich nicht umdrehen würde, dass er ihm sein Gesicht, seine Augen nicht sehen lassen würde. Die schlimmste Angst des Kindes, das Gesicht des Albtraums – eine Mutter, ein Vater, ohne jede Liebe, die durch kalten Vorsatz ersetzt wurde, oder durch blinde Gleichgültigkeit, die fehlende Fürsorge … und so wacht das Kind schreiend auf …
Dreh dich nicht um, Icarium. Ich kann es nicht ertragen, dein Gesicht zu sehen.
»Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht«, sagte Icarium, noch immer in diesem leisen, unschuldigen Tonfall. Mappo hörte, dass Fiedler und Crokus hinter ihm aufgetaucht waren. Sie mussten spüren, dass etwas in der Luft lag, denn sie blieben in einigem Abstand stehen und sagten kein einziges Wort. »Ein Fehler in den Berechnungen, ein Schreibfehler. Omtose ist eine alte Sprache, meine Erinnerung daran ist nur noch schwach. Vielleicht war sie es auch schon damals, als ich das hier gebaut habe. Das Wissen, das ich anscheinend behalten habe, fühlt sich … präzise an, aber schließlich bin ich nicht perfekt, oder? Meine Gewissheit könnte auch eine Selbsttäuschung sein.«
Nein, Icarium, du bist nicht perfekt.
»Ich komme zu dem Ergebnis, dass vierundneunzigtausend Jahre vergangen sind, seit ich das letzte Mal hier gestanden habe. Vierundneunzigtausend Jahre. In den Berechnungen muss ein Fehler sein. Keine Ruinenstadt könnte so lange bestehen, oder?«
Mappo zuckte die Schultern. Woher sollen wir das wissen?
»Vielleicht die Ausstattung mit magischen Kräften …«
Vielleicht.
»Ich frage mich, wer diese Stadt wohl zerstört haben mag?«
Du hast es getan, Icarium, doch selbst in deiner wütenden Raserei hat ein Teil von dir das erkannt, was du selbst erbaut hattest, und hat es unversehrt gelassen.
» Wer immer es auch gewesen sein mag, sie haben über große Macht verfügt«, fuhr der Jhag fort. »T’lan Imass sind hierher gekommen, haben versucht, den Feind zurückzudrängen – ein altes Bündnis zwischen den Bewohnern dieser Stadt und dem Schweigenden Heer. Ihre zerschmetterten Knochen liegen in dem Sand unter unseren Füßen begraben. Zu Tausenden. Was für eine Macht hat hier gewütet, Mappo? Kein Jaghut hätte so etwas tun können, nicht einmal in ihrer großen Zeit vor tausend Jahrtausenden. Und die K’Chain Che’Malle sind sogar noch länger ausgestorben. Ich verstehe das alles nicht, mein Freund
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