Im Bann der Wüste
Sturzbach verwandelt. Ein Dutzend straff gespannter Seile zogen sich in sechzig Fuß Höhe von einem Ufer zum anderen Ufer. Auf dieser Behelfsbrücke bewegten sich ein Dutzend mit Gurten gesicherter Bogenschützen aus Ubaryd über den Abgrund.
»Leichte Ziele«, sagte Gesler, der an der Ruderpinne saß. »Für so was ist Stürmisch genau der richtige Mann. Kannst du uns an dieser Stelle halten, Wahr?«
»Ich kann es versuchen«, erwiderte der junge Mann.
»Wartet«, sagte Duiker. »Das ist ein Hornissennest, in dem wir wohl besser nicht herumstochern sollten, Korporal. Unser Stoßtrupp ist zahlenmäßig weit unterlegen. Außerdem – sieh mal rüber zum anderen Ufer … da drüben sind mindestens schon hundert Soldaten.« Er verstummte, dachte nach.
»Wenn sie wirklich Bäume gefällt haben, dann nicht, um eine Brücke zu bauen«, murmelte der Korporal und musterte blinzelnd den Klippenrand am Nordufer, wo immer wieder Gestalten auftauchten und verschwanden. »Jemand Wichtiges ist gerade gekommen, um einen Blick auf uns zu werfen, Historiker.«
Duiker kniff die Augen zusammen und musterte die Gestalt. »Wahrscheinlich der Magier. Nun, wenn wir nicht beißen, wird er es hoffentlich auch nicht tun.«
»Er gibt trotzdem ein schönes Ziel ab«, dachte Gesler laut.
Der Historiker schüttelte den Kopf. »Wir rudern zurück, Korporal .«
»In Ordnung. Entspannt euch, Jungs …«
Korbolo Doms Hauptstreitmacht war angekommen und hatte zu beiden Seiten der Furt Position bezogen. Der dünne Wald verschwand schnell, als jeder Baum in Sichtweite gefällt, entastet und die Stämme anschließend ins Lager gezogen wurden. Ein Niemandsland von weniger als siebzig Schritt Breite trennte die beiden Streitkräfte. Der Karawanenweg war offen gelassen worden.
Duiker entdeckte Neder, die mit geschlossenen Augen im Schneidersitz unter dem Sonnensegel saß. Der Historiker wartete. Er vermutete, dass sie auf magische Weise mit Sormo Kontakt aufgenommen hatte. Nach ein paar Minuten seufzte sie. »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte sie, die Augen noch immer geschlossen.
»Sie haben Seile über die Schlucht gespannt und schicken Bogenschützen ans andere Ufer. Was geht hier eigentlich vor, Neder? Warum hat Korbolo Dom noch nicht angegriffen? Er könnte uns zerschmettern, ohne dabei ins Schwitzen zu kommen.«
»Coltaine ist nicht einmal mehr zwei Stunden entfernt. Es scheint, als wolle der Kommandant der Feinde warten.«
»Er hätte die Lektion beachten sollen, die Kamist Reloe und seiner Arroganz erteilt wurde.«
»Eine neue Faust und eine abtrünnige Faust – überrascht es Euch wirklich, dass Korbolo Dom aus diesem Kampf etwas Persönliches macht?«
»Nein. Aber es beweist, dass Imperatrix Laseen mit Doms Entlassung Recht hatte.«
»Faust Coltaine wurde ihm vorgezogen. In der Tat hat die Imperatrix deutlich gemacht, dass Korbolo Dom in der Imperialen Armee nie weiter aufsteigen würde. Der Abtrünnige glaubt, dass er etwas beweisen muss. Kamist Reloe hat auf die Stärke seiner Armee gesetzt, auf ihre Überlegenheit. Ab jetzt wird es darum gehen, wem die besseren Kriegslisten einfallen.«
»Wenn Coltaine uns erreicht, wird er in das weit aufgerissene Maul eines Drachen treten, und es ist noch nicht einmal getarnt.«
»Er kommt.«
»Dann sind vielleicht beide Oberbefehlshaber vom Fluch der Arroganz befallen.«
Neder öffnete die Augen. »Wo ist der Korporal?«
Duiker zuckte die Schultern. »Irgendwo. Auf jeden Fall nicht weit weg.«
»Die Silanda soll so viele Verwundete an Bord nehmen, wie sie tragen kann – das heißt solche, die noch eine Chance haben, wieder gesund zu werden. Und dann nach Aren segeln. Coltaine fragt, ob Ihr sie vielleicht begleiten wollt, Historiker?«
Dann ist es also keine Arroganz; er ergibt sich in sein Schicksal. Er wusste, er hätte zögern, hätte nüchtern über den Vorschlag nachdenken sollen, doch stattdessen hörte er sich antworten: »Nein.«
Sie nickte. »Er hat gewusst, dass Ihr das sagen würdet und dass Ihr mit Eurer Antwort auch nicht zögern würdet.« Stirnrunzelnd schaute sie Duiker ins Gesicht. »Wie kommt es, dass Coltaine solche Dinge weiß?«
Duiker war überrascht. »Das fragst du mich? Beim Atem des Vermummten, Mädchen, der Mann ist Wickaner!«
»Und auch für uns ein Geheimnis, Historiker. Die Clans gehorchen seinem Befehl und schweigen. Doch das Schweigen gründet sich nicht auf eine von allen geteilte Gewissheit oder ein gegenseitiges Verständnis. Es
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