Im Bann der Wüste
beibehielt.
Felisin warf einen Blick in den Korb mit geflochtenen Blumen, der neben den nackten, staubigen Füßen des Mädchens stand. »Darin bist du aber sehr geschickt«, sagte sie.
Die junge Wache auf ihrem vorgezogenem Posten sah erneut Leoman an, dann den Toblakai.
»Du kannst deine Waffe senken«, sagte der Wüstenkrieger.
Die zitternde Speerspitze sank in den Sand.
»Knie vor der Wiedergeborenen Sha’ik nieder«, sagte der Toblakai mit harter Stimme.
Einen Augenblick später lag sie im Staub.
Felisin streckte eine Hand aus und berührte den Kopf des Mädchens. »Du kannst aufstehen. Wie heißt du?«
Das Mädchen richtete sich zögernd wieder auf. Ihre einzige Antwort bestand in einem Kopfschütteln.
»Wahrscheinlich eine von den Waisen«, sagte Leoman. »Sie hat niemanden, der beim Namensritual für sie spricht. Darum hat sie keinen Namen, doch sie würde ihr Leben für Euch opfern, Wiedergeborene Sha’ik.«
»Wenn sie ihr Leben für mich opfern würde, dann hat sie auch einen Namen verdient. Und das Gleiche gilt für die anderen Waisen.«
»Ganz wie Ihr wollt. Und wer wird für sie sprechen?«
»Ich, Leoman.«
Der Rand der Oase war durch niedrige, zerbröckelnde Ziegelmauern und eine Hand voll Palmen gekennzeichnet, unter denen Sandkrabben zwischen verdorrten Wedeln hin und her flitzten. Ein Dutzend weiße Ziegen standen auf einem in der Nähe gelegenen schattigen Plätzchen; ihre hellgrauen Augen waren auf die Neuankömmlinge gerichtet.
Felisin griff in den Korb, nahm einen der Armreifen aus geflochtenen Blumen und schob ihn sich über das Handgelenk.
Sie marschierten weiter dem Zentrum der Oase entgegen. Die Luft wurde kühler. Die schattigen Flecken, die sie durchquerten, versetzten ihnen nach so langer Zeit im ungelinderten Sonnenlicht fast einen Schock. Die endlos aneinander gereihten Ruinen bewiesen, dass hier einst eine Stadt gestanden hatte, eine Stadt mit weitläufigen Gärten und Höfen, Teichen und Springbrunnen, von denen jetzt nur noch Stümpfe und niedrige Mäuerchen übrig waren.
Koppeln umgaben das Lager; die Pferde darin wirkten gesund und gut in Form.
»Wie groß ist diese Oase?«, fragte Heboric.
»Kannst du dich danach nicht bei den Geistern erkundigen?«, wollte Felisin wissen.
»Das möchte ich lieber nicht tun. Diese Stadt ist gewaltsam zerstört worden, sehr gewaltsam. Alte Invasoren haben hier die letzte Insel-Enklave des Ersten Imperiums zerschmettert. Die dünnen, himmelblauen Tonscherben unter unseren Füßen stammen aus dem Ersten Imperium, die dicken roten von den Invasoren. Von etwas Feinem zu etwas Grobem. Ein Muster, das sich in der Geschichte immer aufs Neue wiederholt. Diese Tatsachen ermüden mich, sie ermüden mich zutiefst.«
»Die Oase ist riesig«, erklärte Leoman dem ehemaligen Priester. »Es gibt Gebiete, in denen es echten Mutterboden gibt, und dort bauen wir Viehfutter und Getreide an. Ein paar Gruppen uralter Zedern sind noch übrig; sie erheben sich inmitten versteinerter Baumstümpfe.
Es gibt Teiche und Seen, das Wasser ist frisch, und es versiegt nie. Wenn wir wollten, könnten wir für immer an diesem Ort bleiben.«
»Wie viele Menschen leben hier?«
»Elf Stämme. Und vierzigtausend Mann der am besten ausgebildeten Kavallerie, die diese Welt jemals gesehen hat.«
Heboric grunzte. »Und was kann Kavallerie gegen Infanterielegionen ausrichten, Leoman?«
Der Wüstenkrieger grinste. »Nur das Gesicht des Krieges verändern, alter Mann.«
»Das ist schon früher versucht worden«, sagte Heboric. »Was das malazanische Militär so erfolgreich macht, ist seine Fähigkeit, sich anzupassen, die Taktik zu ändern – und das sogar mitten in der Schlacht. Glaubst du, das Imperium hätte noch nie mit Reiterstämmen zu tun gehabt, Leoman? Es hat mit ihnen zu tun gehabt – und sie unterworfen. Gute Beispiele hierfür wären die Wickaner oder die Seti.«
»Und wie hat das Imperium das geschafft?«
»Ich bin nicht der Historiker für solche Einzelheiten – sie haben mich nie interessiert. Wenn ihr eine Bibliothek mit Texten aus dem Imperium hättet – Werke von Duiker oder Tallobant –, könntest du es selbst lesen. Vorausgesetzt natürlich, dass du Malazanisch lesen kannst.«
»Man macht sich die Einschränkungen klar, denen die Heimat dieser Reiterstämme unterliegt, erstellt eine Karte ihrer jahreszeitlichen Wanderungen. Man besetzt und hält Wasservorkommen, baut Festungen und Handelsposten, denn Handel schwächt die Isolation der
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