Im Bann der Wüste
Feinde, die eigentliche Quelle ihrer Macht. Und dann, je nachdem, wie geduldig man ist, verbrennt man entweder die grasbestandenen Ebenen und schlachtet jedes Tier auf vier Beinen, oder man wartet und bietet jeder Bande von Jugendlichen, die in die eigenen Niederlassungen geritten kommt, die Aussicht auf Ruhm und Beute in fremden Ländern, mit dem Versprechen, die Gruppe als Kampfeinheit zusammenzulassen. Solche Verlockungen pflücken die Elite von den Stämmen, bis schließlich nur noch alte Männer und alte Frauen übrig sind, die von der Freiheit erzählen, die es einst gegeben hat«, erwiderte Leoman.
»Ah, da hat jemand seine Hausaufgaben gemacht.«
»Stimmt, wir haben eine Bibliothek, Heboric. Und zwar eine ziemlich große. Die Ältere Sha’ik hat darauf bestanden. ›Du musst deine Feinde besser kennen als sie sich selbst.‹ Das hat Imperator Kellanved gesagt.«
»Kein Zweifel, obwohl ich zu behaupten wage, dass er nicht der Erste war.«
Die Gruppe verließ eine von Pferdekoppeln eingefasste Straße und erreichte einen Bereich, wo sich auf allen Seiten die Schlammziegelhäuser der Stämme erhoben. Auf den sandigen Straßen rannten Kinder herum, und von Maultieren oder Ochsen gezogene Händlerkarren kehrten langsam aus dem Zentrum zurück, da der Markt für heute vorbei war. Hunde kamen in ganzen Meuten herangehechelt, um ihre Neugier zu befriedigen, und flohen angesichts der Herausforderung, die die blutverkrustete Rolle aus weißem Bärenfell auf den breiten Schultern des Toblakai darstellte.
Eine Menschenmenge begann sich zu versammeln, und sie folgte ihnen, während sie dem Herz der Siedlung immer näher kamen. Felisin spürte die Blicke aus Tausenden von Augen, hörte das unsichere Gemurmel. Sha’ik, und doch nicht Sha’ik. Es ist doch Sha’ik, schaut euch doch ihre beiden Leibwächter an, den Toblakai und Leoman von den Ödlanden; die großen Krieger sind von ihrer Reise in die Wüste gezeichnet. In der Prophezeiung war von Wiedergeburt die Rede, von einer Erneuerung. Sha’ik ist zurückgekehrt. Sie ist schließlich doch noch zurückgekehrt, und sie ist wieder geboren. Die Wiedergeborene Sha’ik …
»Wiedergeborene Sha’ik!« Die beiden geflüsterten Worte wurden immer aufs Neue wiederholt, formten einen Rhythmus, der einer Woge gleich durch das Lager rollte, wurden lauter. Die Menge wurde größer, die Nachricht von Sha’iks Ankunft verbreitete sich rasch.
»Ich hoffe, im Zentrum gibt es eine Lichtung oder eine Art Amphitheater«, murmelte Heboric. Er schenkte Felisin ein ironisches Grinsen. »Wann sind wir zuletzt eine von einer Menschenmenge gesäumte Straße entlanggeschritten?«
»Besser von der Demütigung zum Triumph als umgekehrt, Heboric.«
»Stimmt. Darüber werde ich nicht mit dir streiten.«
»Vor dem Palastzelt gibt es einen Paradeplatz«, sagte Leoman.
»Vor dem Palastzelt? Ah, etwas, das auf die Unbeständigkeit verweist, ein Symbol, das die alten Traditionen ehrt – die Macht der alten Lebensart und all diese Dinge.«
Leoman wandte sich an Felisin. »Der Mangel an Respekt, den Euer Gefährte zeigt, könnte sich als problematisch erweisen, Wiedergeborene Sha’ik. Wenn wir die Hohemagier treffen – «
»Wird er klugerweise den Mund halten.«
»Das sollte er auch.«
»Wir reißen ihm die Zunge raus«, grollte der Toblakai, »dann brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen.«
»Ach nein?« Heboric lachte. »Du unterschätzt mich immer noch, Dummkopf. Ich bin blind, und doch kann ich sehen. Reißt mir die Zunge raus, und ich werde reden, und wie. – Reg dich ab, Felisin, ich bin kein Narr!«
»Das bist du doch, wenn du sie weiterhin mit ihrem alten Namen ansprichst«, warnte ihn Leoman.
Felisin ließ sie sich zanken; sie spürte, dass sich schließlich trotz der scharfen Worte, die sie einander an den Kopf warfen, zwischen den drei Männern doch ein Band zu entwickeln begann. Nicht so etwas Einfaches wie Freundschaft – der Toblakai und Heboric waren letztlich durch Ketten aus Hass aneinander gebunden –, sondern etwas, das auf gemeinsamen Erfahrungen beruhte. Was sie teilen, ist die Geschichte meiner Wiedergeburt, selbst wenn sie an den Eckpunkten eines Dreiecks stehen, mit Leoman am Scheitelpunkt. Leoman, der Mann, der an nichts glaubt. Sie näherten sich dem Zentrum der Siedlung. Felisin entdeckte auf einer Seite eine Plattform, ein scheibenförmiges Podest, das einen Springbrunnen umgab. »Dort werde ich anfangen.«
Leoman drehte sich überrascht zu ihr
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