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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Straßenrand vorwärts trieben und an den stolpernden, taumelnden Flüchtlingen vorbeijagten.
    Der Treck hatte sich in die Länge gezogen; die etwas Leichtfüßigeren rannten immer weiter vorneweg. Um den Historiker herum waren hauptsächlich ältere Flüchtlinge, für die jeder Schritt ein qualvoller Kampf war. Viele blieben einfach stehen und setzten sich auf die Straße, um das Unausweichliche zu erwarten. Duiker brüllte sie an, drohte ihnen, doch es hatte keinen Zweck. Er sah ein Kind, das kaum älter als achtzehn Monate sein konnte; es wanderte verloren durch die Menge, mit ausgestreckten Armen, trockenen Augen und beängstigend still.
    Duiker ritt zu ihm hin, beugte sich aus dem Sattel und nahm das Kind auf den Arm. Winzige Händchen krallten sich in die Fetzen seines Hemds.
    Eine letzte Reihe von Gräbern trennte ihn und das Ende des Flüchtlingszugs jetzt noch von der Armee der Verfolger.
    Die Flucht war nicht langsamer geworden; das war für den Historiker der einzige Hinweis, dass die Tore schließlich doch noch geöffnet worden waren, um die Flüchtlinge einzulassen. Entweder das, oder sie verteilen sich in verzweifelten, hoffnungslosen Wogen entlang der Mauer – aber nein, das wäre ein Verrat, der dem Wahnsinn gleichkäme -
    Und jetzt konnte er es selbst sehen, in tausend Schritte Entfernung: Aren. Das Nordtor, flankiert von gewaltigen Türmen, klaffte drei Viertel seiner Höhe weit offen – das letzte, unterste Viertel war eine brodelnde Masse aus Gestalten, die stießen und drängten und in ihrer Panik übereinander hinwegkletterten. Doch die Macht der Flutwelle war zu groß, zu unaufhaltsam, um den Durchgang zu verstopfen. Aren verschluckte die Flüchtlinge wie ein gigantischer Rachen. Die Wickaner ritten auf beiden Seiten, verzweifelt darum bemüht, den Strom aus Menschenleibern unter Kontrolle zu halten, und Duiker konnte jetzt erkennen, dass sich auch Soldaten in der Uniform der Stadtgarde von Aren unter sie gemischt hatten, um ihnen zu helfen.
    Und die Armee? Was ist mit der Armee der Hohefaust?
    Die Soldaten standen auf den Wällen. Sie schauten zu. Reihe um Reihe von Gesichtern; Gestalten, die entlang der gesamten Länge der Nordmauer um einen Aussichtspunkt rangelten. Einzelne, protzig gekleidete Personen standen auf den Plattformen der beiden Türme, die das Tor flankierten, blickten auf den ausgehungerten, verwahrlosten, schreienden Mob hinab, der sich durch das Stadttor drängte.
    Plötzlich waren Angehörige der Stadtgarde unter den letzten Flüchtlingen, die noch vorwärts taumelten. Um sich herum sah Duiker Soldaten mit grimmigen Gesichtern, die Flüchtlinge auf den Rücken nahmen und mit ihnen auf das Tor zurannten. Duiker entdeckte einen Gardisten mit den Insignien eines Hauptmanns und lenkte sein Pferd zu dem Mann hinüber.
    »Ihr da! Nehmt dieses Kind!«
    Der Mann hob die Arme und nahm das stumme Kleinkind mit den großen Augen behutsam entgegen. »Seid Ihr Duiker?«, fragte der Hauptmann.
    »Ja.«
    »Ihr sollt Pormqual unverzüglich Bericht erstatten, mein Herr  – die Hohefaust ist dort drüben, auf dem linken Turm.«
    »Der Bastard wird warten müssen«, grollte Duiker. »Ich gehe erst, wenn auch der letzte verdammte Flüchtling durch dieses Tor da verschwunden ist! Und jetzt bewegt Euch, Hauptmann, aber sagt mir zuerst Euren Namen, denn es ist gut möglich, dass die Mutter oder der Vater dieses Kindes noch am Leben ist.«
    »Ich heiße Keneb, Herr, und ich werde bis dahin auf den kleinen Schatz hier aufpassen, das schwöre ich.« Der Mann zögerte einen Augenblick und packte Duiker dann mit einer Hand am Handgelenk. »Herr …«
    »Was ist?«
    »Es … es tut mir Leid, Herr.«
    »Eure Loyalität hat der Stadt zu gelten, die zu verteidigen Ihr geschworen habt, Hauptmann – «
    »Das weiß ich, Herr, aber diese Soldaten da, auf den Wällen – sie sind so nah dran, wie sie dürfen, wenn Ihr versteht, was ich meine. Und sie sind nicht glücklich darüber.«
    »Das geht nicht nur ihnen so. Und jetzt macht, dass Ihr loskommt, Hauptmann.«
     
    Duiker war der Letzte. Als sich der Torgang schließlich leerte, befand sich kein Flüchtling, der noch atmete, mehr außerhalb der Wälle, abgesehen von jenen, die er ein Stück entfernt auf der Straße sehen konnte; sie hockten noch immer auf den Pflastersteinen, unfähig, sich zu bewegen, und taten ihre letzten Atemzüge – sie waren zu weit weg, um sie zu retten, und es war ganz klar, dass die Soldaten der Stadtgarde eindeutige Befehle

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