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Im Bann der Wüste

Im Bann der Wüste

Titel: Im Bann der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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erhalten hatten, wie weit sie sich vom Tor entfernen durften.
    Dreißig Schritte vor dem Tor und einer Phalanx von Soldaten, die in der Öffnung standen und ihn beobachteten, zog Duiker sein Pferd ein letztes Mal herum. Er starrte nach Norden, zuerst zu der Staubwolke, die jetzt den letzten, größten Grabhügel herunterkam, und dann an ihr vorbei, auf den leuchtenden Speer, der den Wirbelwind symbolisierte. Sein geistiges Auge wanderte noch viel weiter, nach Norden und Osten, über Flüsse, über Ebenen und Steppen, zu einer Stadt an einer anderen Küste. Doch die Anstrengung half ihm wenig. Es war zu viel, um es zu begreifen, und das Ende dieser außergewöhnlichen Reise, die solche seelischen Narben zurückgelassen hatte, war zu rasch, zu plötzlich gekommen.
    Eine Kette aus Leichnamen, die sich über Hunderte von Längen erstreckt. Nein, es liegt alles hinter mir, hinter uns allen, wie ich jetzt glaube …
    Er wendete sein Pferd, musterte das weit offen stehende Tor und die dort versammelten Wachen. Sie wichen zurück, um ihm einen Pfad frei zu machen. Duiker drückte seiner Stute die Fersen in die Flanken.
    Er beachtete die Soldaten auf den Wällen nicht – nicht einmal, als sie einen triumphierenden Schrei ausstießen, der an ein entfesseltes wildes Tier erinnert.
     
    Schatten flossen in stummen Wogen über die kahlen Hügel. Apt hatte das glitzernde Auge dem Horizont zugewandt, ließ den Blick eine ganze Weile an der dünnen Linie entlangschweifen; dann senkte die Dämonin den länglichen Kopf und schaute auf den Jungen hinab, der neben ihrem Vorderbein hockte.
    Auch er musterte die unheimliche Landschaft der Schatten-Sphäre; sein eines, aus unzähligen Facetten bestehendes Auge glänzte unter den vorstehenden Brauenwülsten.
    Nach einem langen Augenblick hob er den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. »Mutter«, fragte er, »ist dies hier unser Zuhause?«
    Aus einer Entfernung von einem Dutzend Schritten erklang eine Stimme. »Mein Kollege unterschätzt die natürlichen Einwohner dieser Sphäre immer wieder. Ah, da ist das Kind.«
    Der Junge drehte sich um und sah zu, wie der große, schwarz gekleidete Mann näher kam. »Apt«, fuhr der Fremde fort, »dein großzügiges Formen dieses jungen Burschen – egal, wie gut es auch gemeint gewesen sein mag – wird ihm in den kommenden Jahren nichts, anderes bringen als innere Narben.«
    Apt klickte und zischte eine Antwort.
    »Ah, aber du hast das Gegenteil davon erreicht, meine Teure«, sagte der Mann. »Denn jetzt gehört er zu keiner von beiden.«
    Die Dämonin sprach erneut.
    Der Mann neigte den Kopf, musterte sie ein Weilchen und lächelte dann halbherzig. »Das ist ziemlich dreist von dir.« Er richtete den Blick auf den Jungen. »Nun gut.« Er hockte sich hin. »Hallo.«
    Scheu erwiderte der Junge den Gruß.
    Der Mann warf Apt einen letzten verärgerten Blick zu und streckte die Hand aus. »Ich bin … Onkel Cotillion – «
    »Das kann nicht sein«, sagte der Junge.
    »Oho. Und warum nicht?«
    »Eure Augen – sie sind anders – so klein … zwei, die darum kämpfen, wie eines zu sehen. Ich glaube, sie sind ziemlich schwach. Als Ihr hergekommen seid, seid Ihr durch eine Steinmauer und dann durch die Bäume gelaufen, und Ihr habt die Geisterwelt gekräuselt, als wüsstet Ihr nicht, dass sie ein Recht hat, hier zu sein.«
    Cotillions Augen weiteten sich. »Mauer? Bäume?« Er warf einen Blick auf Apt. »Hat er den Verstand verloren?«
    Die Dämonin antwortete ihm ausführlich.
    Cotillion erbleichte. »Beim Atem des Vermummten!«, murmelte er schließlich, und als er sich wieder dem Kind zuwandte, zeigte sein Gesicht einen Anflug von Ehrfurcht. »Wie heißt du, mein Junge?«
    »Panek.«
    »Dann hast du also einen Namen. Sag mir, woran du dich im Zusammenhang mit der anderen Welt erinnerst – außer an deinen Namen?«
    »Ich erinnere mich, dass ich bestraft wurde. Sie hatten mir gesagt, ich sollte dicht bei Vater bleiben – «
    »Und wie hat dein Vater ausgesehen?«
    »Ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich an kein einziges Gesicht erinnern. Wir haben gewartet und uns gefragt, was sie wohl mit uns machen würden. Aber dann sind wir – die Kinder – weggebracht worden. Soldaten haben meinen Vater geschlagen und ihn in die entgegengesetzte Richtung weggeführt. Ich hätte dicht bei ihm bleiben sollen, aber ich bin mit den Kindern gegangen. Sie haben mich bestraft – haben alle Kinder bestraft –, weil wir nicht getan haben, was man uns gesagt

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