Im Bann des Adlers
genommen und fügten sich in ihr Schicksal, wieder einmal vernommen zu werden. Er ging zielstrebig auf den Empfangstresen zu und wandte sich an eine recht nett aussehende Dame. „Ich möchte gerne meine Freundin als vermisst melden“, sagte er. „Hmpf, seit wann wird sie denn vermisst?“ kam es ziemlich unfreundlich zurück. „Seit gestern Nachmittag.“ „Das ist eigentlich noch nicht lange genug, aber sie können warten, wenn sie wollen, bis ein Magistrado für Sie Zeit hat.“
José nickte und setzte sich notgedrungen mit den Huren in eine Reihe. Was für eine beschissene Situation. Je länger er dort saß und wartete umso mehr hatte er das Gefühl, dass dies erst der Anfang von einer ganzen Reihe schlimmer Ereignisse sein würde. Endlich, nach gut zwei Stunden Wartezeit wurde er aufgerufen. „Gehen Sie hier durch den Gang und dann das zweite Zimmer auf der rechten Seite“, erklärte die Dame vom Empfang. Als er den Raum betrat, hatte er eher das Gefühl in einen überfüllten Dachboden, statt in ein Büro zu kommen. Überall lagen Akten und einzelne Papierstapel, die Wände waren mit Bildern und Zeitungsausschnitten beklebt. Auf dem Schreibtisch blieb gerade mal Platz für einen Computer. Hinter diesem saß Magistrado Miguel Perron, wie sich dieser ihm nun vorstellte. Der Kommissar war seiner Schätzung nach Ende vierzig, circa eins sechzig groß, etwas untersetzt und wahrscheinlich verheiratet, wie er dem Ring an seinem Finger entnahm. Der Mann hatte ein gutmütiges Gesicht und José fühlte sich etwas erleichtert.
„Na dann fangen Sie mal an. Wie heißen Sie denn mit vollem Namen?“ „José Lorca und ich wohne hier direkt in Valencia im Stadtteil Barrio del Carmen, dort besitze ich auch ein kleines Antiquitäten Geschäft.“ „Hm, und wie heißt die vermisste Person?“ „Jessica Korbmann, sie ist aus Deutschland, Berlin, wohnt aber schon seit vier Jahren hier in Valencia.“
„Soso, l‘alemana also, dann sagen Sie mir mal, wie alt die Dame ist und in welchem Verhältnis sie zu Ihnen steht. Geben Sie mir eine möglichst genaue Beschreibung oder besser noch ein Bild, wenn Sie eines bei sich tragen. Sie können es aber auch nachreichen.“ „Jessica ist gerade 28 geworden und meine Freundin. Ich habe natürlich ein Bild bei mir, aber das würde ich gerne so bald wie möglich wieder bekommen.“ „Keine Sorge, wir scannen es ein und Sie bekommen es gleich wieder. Sehr hübsches Mädchen haben Sie da.“ In jeder anderen Situation wäre José bei dieser Aussage geplatzt vor Stolz, heute stimmte ihn der Satz nur traurig.
„Erzählen Sie mir jetzt bitte möglichst genau, was gestern geschah.“ Er berichtete alles, was er wusste, was ja nicht wirklich viel war. „Das war die ganze Geschichte, soweit ich sie kenne“, schloss José. Eifrig hatte Magistrado Perron währenddessen auf seinem Computer mitgeschrieben. Nun las er sich das Ganze noch einmal durch, er machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ich habe da noch ein paar Fragen“ fing er an. „Wo befanden Sie sich denn gestern Nachmittag zum fraglichen Zeitpunkt und warum hat die beste Freundin nicht sofort Sie verständigt, sondern versucht ihren Bruder anzurufen?“ „Ich war gestern Nachmittag zuerst in meinem Laden und sah nach dem Rechten, aber es war nicht viel los und mein Angestellter kam ganz gut alleine zurecht, also hatte ich beschlossen, mir auf meiner Terrasse, einen schönen Nachmittag zu machen. Hillary hat ihren Bruder angerufen, weil er ihr immer hilft und ihr näher steht als irgendjemand, sogar als Jessica, was fast nicht vorstellbar ist.“ Bei dieser Aussage musste er etwas schmunzeln. Auch Perron lächelte ein wenig.
„Wann waren Sie zu Hause, gibt es jemanden, der Sie gesehen hat, oder mit dem Sie gesprochen haben?“ José dachte nach. „Mein Nachbar war gerade im Garten, als ich nach Hause kam, das wird so gegen drei gewesen sein. Wir haben uns ganz kurz über das schöne Wetter unterhalten. Sonst hat mich mit Sicherheit niemand gesehen, da meine Terrasse nach hinten hinaus geht.“ „Hm, hm“, brummelte Perron vor sich hin, wieder schien er zu überlegen. „Hat Señora Korbmann ihnen mitgeteilt, wann Sie sich wieder bei Ihnen meldet?“ Nun musste José kurz überlegen, ob Jessica nicht doch eine Uhrzeit nannte, zu der sie sich zurückmelden würde. „Nein, leider nicht. Sie ist sehr zuverlässig. Aber soweit ich mich erinnere, meinte sie, es könne sicher etwas später werden. Es ist doch ein Stück Weg
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