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Im Bann des Adlers

Im Bann des Adlers

Titel: Im Bann des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianina Baloff
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als wäre es normal. So ging es mir damals. Keiner sprach mit mir, obwohl ich immer wieder nachfragte was das alles zu bedeuten hätte. Nach einiger Zeit hatte ich gelernt, damit umzugehen und die Dinge, die in meinem Elternhaus geschahen, nicht nach außen, dringen zu lassen. Damit wurde ich allerdings ziemlich zum Einzelgänger.“ „Kannst du bitte deutlicher werden?“, hakte ich ungeduldig nach.
    Augenscheinlich fiel es ihm immer noch schwer, darüber zu reden. „Mein Vater war drogenabhängig und mein zwei Jahre älterer Bruder auch. Wir wurden nach dem alten Glauben erzogen, den auch die Gemeinschaft hier vertritt. Alles kommt von Mutter Natur und diese sorgt für uns, wenn wir nach ihren Geboten leben. Daran ist an sich nichts verkehrt, aber in meiner Familie lief durch die Drogensucht meines Vaters so einiges anders. Er verlor immer mehr den Sinn für uns und die Realität.
    So wurden nicht nur Tiere geopfert, sondern er vergewaltigte auch, durch die Drogen total vernebelt, unsere kleine Schwester. Mutter wurde brutal geschlagen, sobald sie versuchte Silva zu schützen. Ich war einfach noch zu jung, um richtig zu reagieren. Mein großer Bruder Ignacio war nur noch unterwegs und rutschte aus lauter Verzweiflung ebenfalls in die Drogenszene ab. Als Ignacio sich dann den goldenen Schuss gab, brach bei uns alles auseinander. Damals war ich gerade mal zwölf. Unsere Mutter verkraftete das Ganze nicht mehr, und als Vater wieder einmal auf Tour war und ich tief und fest schlief, verabreichte sie meiner Schwester ein Schlafmittel und schnitt ihr und dann sich die Pulsadern auf. Am nächsten Morgen fand ich beide leblos in ihren Betten. Alles, was wir noch für sie tun konnten, war sie ehrenvoll zu begraben. Doch auch das blieb ihnen verwehrt. Eiskalt schnitt mein Erzeuger in meinem Beisein meiner Schwester das Herz heraus und verbrannte es zu ehren „Sangre“, seiner Göttin.
    Die Leichen schmiss er einfach in eine Grube neben dem Haus bei den Schweinen. Dass alles war zu viel für mich und ich rannte in dieser Nacht von zu Hause weg. Immer wieder stelle ich mir die Frage, warum sie nur meine Schwester mit in den Tod genommen hat und nicht mich. Doch darauf werde ich wohl nie eine genügende Antwort erhalten. Ein paar Wochen kam ich bei Schulfreunden unter, doch als diese Fragen stellten und mich wieder zurück schicken wollten, musste ich dort weg und lebte auf der Straße. Dort fand mich ein Jahr später in ziemlich verwahrlosten Zustand, schließlich Geronimo.“ Ihm liefen die Tränen über die Wangen bei seiner ergreifenden Erzählung und auch ich musste den Frosch in meinem Hals erst einmal runter schlucken. „Was dann?“, krächzte ich. „Er nahm mich bei sich auf. Damals lebte er noch im Norden weit weg von Valencia und zog mich auf wie einen Sohn. Er sorgte dafür, dass ich die Schule beendete und eine Ausbildung zum Kaufmann machte. Nebenbei verfolgte er jedoch seine eigenen Pläne mit der Gründung einer Gemeinschaft. Da ich in diesem Glauben erzogen wurde, dachte ich zu Beginn nie darüber nach, ob seine Beweggründe wirklich rechtschaffend sind. Leider!“
    Es entstand eine Pause in der jeder von uns seinen Gedanken nachhing. „Das soll alles keine Entschuldigung sein, für mich und meine Taten. Ich möchte nur, dass du verstehst, wie ich in diese Situation geraten bin. Als ich bemerkte, welche Ziele der Vater tatsächlich verfolgt, war es schon viel zu spät etwas dagegen zu unternehmen.
    Außerdem war da noch die Dankbarkeit, zu der ich mich verpflichtet fühlte, weil er mich wie einen Sohn aufzog.“
    Meine Empfindungen wusste ich gerade nicht wirklich einzuordnen. Mitleid für den Mann neben mir, der bisher unerschütterlich wirkte. Hass gegen ihn und Geronimo für ihre Taten. Verständnis, weil auch ich unverschuldet in eine Situation geraten bin, in der ich nicht sein wollte. Unverständnis, weil er sich nicht wehrte, als er merkte, wozu der Adler fähig war. All, das tobte in mir, als ich aufstand, ihm den Rücken zukehrte und ohne ein Wort den Raum verließ. In meinem Zimmer schmiss ich mich auf mein Bett und weinte bittere Tränen. Um mich, um Victor, und weil ich Angst hatte, in einen Strudel gezogen zu werden, aus dem ich nie mehr entkam. „Dios mio, hilf mir zu entkommen und das Ganze einfach zu vergessen!“, betete ich inständig. Mit zitternden Knien holte ich mein Handy unter der Matratze vor, verriegelte die Badezimmertür und versuchte meinen letzten Kontakt zur Außenwelt

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