Im Bann des Feuers Drachen2
diesem übernatürlichen Licht erfüllte. Oder es war nur eine Halluzination, die durch den Entzug des Giftes ausgelöst wurde. Denn ja, ich hatte seit meinem Aufenthalt in der Viagand viele solcher Licht-Halluzinationen erlebt. Aber was auch immer die Wahrheit sein mochte, es passierte jedenfalls, und wenn Ringus noch lebte, würde er meine Geschichte zweifellos bestätigen.
Ein schillerndes blaues Licht erfüllte die Stallbox, ließ Steine und Spreu, die Wand und die Holzbalken der Decke fahl erscheinen, radierte alle Schatten und Räumlichkeit aus. Es war fast so, als beständen wir nur aus Breite und Höhe, ohne jede Substanz, als wären wir ein verblichenes Bild, das in geisterhaften Farben gezeichnet war.
Die Drachenkuh neben Ringus erstarrte. Die Spitze ihrer gegabelten Zunge glitt zwischen ihren grünlichen Gaumen hervor und zitterte. Langsam und sicher streckte sie mir ihre ganze Zunge entgegen. Nicht ein Tropfen Gift befand sich darauf, sie war so rosa und rein wie die vom Regen benetzte Blüte einer fleischfressenden Lilie. In diesem weißlichen, schillernden blauen Licht hatte allein ihre Zunge Farbe. Wie der Finger eines Geliebten liebkoste ihre gegabelte Zunge meine Wangen, zuckte über meine Lippen, schlang sich um meinen Hals und zog mich zu ihr.
Ich schwebte die paar Schritte zu der Drachenkuh, ich ging nicht, sondern schien zu treiben. Ihre bernsteinfarbenen, echsenartigen Augen kamen immer näher, wurden größer, bis sie die ganze Welt auszufüllen schienen. Ich schloss meine Augen.
Schuppige Lippen pressten sich auf meine. Ich atmete die Essenz eines Drachen ein. Ihr Maul öffnete sich, weiter, noch weiter, und gezackte Zähne und Reißzähne von der Länge von Dolchen kratzten über meine Wangenkochen, mein Kinn.
Mein Kopf steckte im Schlund eines Drachen.
Sonnenlicht drang in den Stall ein; ich sah es als kupferfarbenen Schein hinter meinen geschlossenen Lidern. Es explodierte förmlich auf jedem Stäubchen, das in der Luft tanzte, als wären sie winzige, strahlende Sonnen. Das blaue Leuchten, das zuvor Wände und Boden in fahles Licht getaucht hatte, zog sich zu einer Spirale zusammen und drehte sich langsam und schwerfällig um den Drachen und mich. Ein Ende der Spirale streifte Ringus’ Schlangenstock, und die Klinge zerbarst zu Licht.
Ich schwebte in der Luft, im Inneren des Drachen, umhüllt von dem funkelnden Strahlen.
Dann berührten meine Füße den Boden, der Drache zog sein Maul zurück, und ich starrte benommen auf den glotzenden Diener.
»Ich bin nicht böse, Ringus«, stieß ich rau hervor. »Ich bin nicht dein Feind. Die Gnade des Einen Drachen berührt alle, die mich berühren.«
Ringus nickte, bedächtig, wie verzaubert.
Als ich am Morgen des achtundzwanzigsten Tages nach meiner Rückkehr in die Stalldomäne aufwachte, glühte die Sonne bereits an einem strahlend blauen Himmel. Der säuerliche, saftige Geruch von Farnwedeln, die sich im Dschungel entfalteten, hing in der Luft. Dieser unverkennbare Duft läutete den Beginn der Zeit des Feuers ein. Das Abbasin Shinchiwouk, die Arena, stand unmittelbar bevor.
Ich erschauerte.
Im selben Moment durchzuckte mich der Gedanke, dass ich den Geist meiner Mutter nicht mehr gesehen hatte, seit er bei meiner Rückkehr auf das Gebiet von Brut Re aus meinem Körper gefahren war.
Dieser Offenbarung folgte rasch die Erkenntnis, dass ich auch keine einzige Gutembra erlebt hatte, keine Traumerinnerungen von Waivia, obwohl Ingalis, mein Bruder, schon lange aus Brut Re weggeschafft und so dem Einfluss des Geistes entzogen worden war. Zu wem also war der Geist gegangen, um Hilfe bei der Suche nach meiner Schwester zu finden?
Und wenn der Geist jetzt nicht in der Arena erschien, um mir zu helfen?
Ich richtete mich mit einem Ruck auf.
Ich leckte mir die Lippen; sie waren noch klebrig von Drachenjünger Gens Trunk, den ich in der Nacht zuvor zu mir genommen hatte.
Er würde auftauchen, ganz sicher. Der Himmelswächter hatte mich zweimal gerettet, als mein Leben in Gefahr war. Es war einfach nur Glück, dass der Geist mich nicht weiter verfolgt hatte, nicht wahr? Bei allem, was ich im Augenblick durchmachte, hätte es mir auch gerade noch gefehlt, wenn ich jetzt von dem Geist verfolgt worden wäre, der mich zwingen wollte, meine tote Schwester zu suchen. Ich sollte Re für diese Schonfrist danken. Ganz sicher war das so.
Aber der Dank, den ich stillschweigend an unseren gewaltigen Brutstätten-Bullen richtete, war ambivalent. Denn
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