Im Bann des Feuers Drachen2
mehrmals in den Brei. Dann zuckte er mit den Schultern, nahm einen der angeschlagenen und ungewaschenen Näpfe von dem Stapel auf dem Schlachttisch und füllte den Eintopf hinein. Dann reichte er ihn mir.
»Iss.«
Ich gehorchte, und er verfolgte mit schläfrigem Blick jede meiner Bewegungen. Lächerlich. Wer konnte mich daran hindern, den Brei zu vergiften, wenn die Schüler schliefen, falls ich sie wirklich allesamt vergiften wollte? Vielleicht kam Ringus derselbe Gedanke, denn er seufzte und nahm sich ebenfalls von dem Eintopf, bevor ich meinen Napf auch nur zur Hälfte geleert hatte.
Meine Erschöpfung verstärkte sich mit dem warmen Essen im Bauch tausendfach. Ringus stellte seinen leeren Napf auf den Tisch und nickte mir zu. Gemeinsam hoben wir den schweren, hölzernen Deckel auf den Kessel.
Es war vollbracht. Ich konnte gehen.
In diesem Moment tauchte sie auf.
Ich erkannte sie zunächst nicht, denn ich war vollkommen erschöpft. Ich sah nur die wohlwollende Gestalt, die sie angenommen hatte. Die einer Taube.
Die Taube flatterte über den Hof, schimmerte perlgrau im Mondlicht. Sie landete etwa eine Armeslänge entfernt von Ringus und mir, legte den Kopf schief und kam näher, schritt mit diesem ruckartigen Hüpfen auf uns zu. Ihre Knopfaugen waren so rot und wächsern wie fleischfarbene Beeren.
Sie näherte sich ohne Furcht. Es war unnatürlich.
»Was …?«, begann Ringus, als ein bläulicher Nebel vom Boden unter der Taube aufstieg, zäh und nach Schwefel stinkend.
Ringus und ich wichen zurück, bis wir mit unseren Rücken an den Schlachttisch hinter uns stießen. Ohne mich umzudrehen oder die Taube aus den Augen zu lassen, tastete ich auf dem Tisch nach der Machete, mit der ich den Renimgar geschlachtet hatte.
»Kwano, Eine Schlange, Erster Vater, Urahn und Geist aller Kwano überall, ich flehe dich an, weiche von uns!«, keuchte Ringus. Er stammelte das Gyin-Gyin, die Anrufung des Drachentempels, die jedes Kind, jeder Vater, jede Mutter und jeder Heilige Hüter kannte. »Ich rufe die Mächte des Ranon ki Cinai an, gelenkt vom Erhabenen Imperator Mak Fa-sren.«
Die Taube schwoll an. Der blaue Dunst stieg wie eine Säule in die Luft und bewegte sich in einer engen Spirale um den Vogel. Ich schloss die Faust um den Griff der Machete.
»Ich rufe an die Autorität des Allmächtigen Drachen«, intonierte Ringus atemlos, während ihm die Augen fast aus den Höhlen traten, »des Einen Drachen, des Urahns und Geists aller Drachen allüberall.«
Die Taube schwoll zur Größe einer Melone an. Ihre Federn standen wie Stacheln ab, und ihre Augen versanken tief in ihrem Fleisch. Den Schnabel sperrte sie weit auf, wie ein Fisch sein Maul aufreißt, wenn er an Land gespült wird und nach Luft schnappt.
»Halt den Mund!«, zischte ich Ringus zu. »Du machst es nur noch schlimmer.«
»Ich rufe an die Macht Res, des Heiligen Bullen von Brutstätte Re …«
Die obszön angeschwollene Taube stieß ein ersticktes Kreischen aus und platzte. Fleischbrocken prallten gegen unsere Schienbeine, Federn sanken auf uns herab, verkohlt und rauchend. Der blaue, schweflige Dunst verdichtete sich und nahm eine flackernde Gestalt an … die meiner Mutter.
»Re hilf uns!«, quiekte Ringus.
Ihr langes, schwarzes Haar fächerte sich wie Schwingen hinter ihrem Kopf auf, und die grünbraunen Flecken auf ihrer Djimbihaut schienen zu glühen – das Grün so wie Glühwürmchen, das Braun so rötlich wie die Schamottsteine eines Brennofens. Der Bitoo, den sie trug, fiel in blauen, leuchtenden Falten bis zu ihren Füßen und schillerte fast wie ein lebendiges Wesen. Mein Herz schwoll an und pochte schmerzhaft in meiner Brust.
Sie streckte zitternd die Hand nach mir aus, und auf ihrem Gesicht lag ein unsicheres Lächeln. »Zarq?«
Ich ließ die Machete fallen und stürzte mich in ihre Umarmung.
Ich drückte mein Gesicht an ihren Busen und weinte. Sie war warm und weich und real, die Arme, die sie um mich legte, hüllten mich vergebend und liebend ein.
Ach Mutter, du, die du mich in deinem Wahnsinn so grausam missbraucht hast, die du mich zum Konvent brachtest, wo ich verstümmelt wurde, und mich dann durch den Tod im Stich gelassen hast, warum nur sehne ich mich so nach deiner Liebe?
Sie strich mir das Haar aus dem Nacken und drückte ihre Lippen auf meine Haut.
»Verzeih mir, verzeih mir«, murmelte sie. Ihre Tränen liefen warm und süß über meinen Rücken. »Mein kleines Mädchen, vergib mir.«
»Mutter.« Ich weinte,
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