Im Bann des Feuers Drachen2
einem bösen Geist besessen ist. Er sagt«, Kratts Lippen verzogen sich spöttisch, obwohl sein Blick hart und verbittert blieb, »dass die Kreatur, die sie beim Mombe Taro beschworen hat, nur ein Dämon gewesen wäre.«
»Und was denkt Ihr, nachdem Ihr sie jetzt noch einmal gesehen habt?«, wollte der Drachenmeister wissen.
Kratt musterte mich fast gleichgültig. »Die Abbildungen eines Himmelswächters, die ich auf den Pergamenten gesehen habe, ähneln bemerkenswert der Kreatur, die sie eben beschworen hat. Diese Kreatur, die sie zu rufen vermag, scheint tatsächlich ein Wächter des Himmlischen Reiches zu sein.«
»Das ist sie, sie ist es! Überlegt nur, welche Macht Ihr besitzt, wenn ein Himmelswächter dem Ruf dieses Mädchens gehorcht!« Der Drachenmeister packte in seiner Erregung Kratts Ärmel. »Stellt Euch vor, was Ihr mit einer solchen Kreatur an Eurer Seite bewerkstelligen könnt!«
Kratt sah ihn an und schüttelte herablassend die Hand des Drachenmeisters ab.
»Ich benötige die Schriftrolle des Rechtshäuptigen Kranichs, Komikon. Der Ranreeb besteht darauf, sie persönlich zu studieren. Und zwar sofort.«
»Sie ist in sicherer Verwahrung, bei jemandem, dem ich vertraue.«
»Das nützt mir nur wenig.«
»Der Ranreeb wird sie vernichten.«
»Er wird diese Ausgeburt vernichten, wenn er diese Schriftrolle nicht zu sehen bekommt. Jetzt ist der Moment gekommen, Euren kostbaren Beweis hervorzuholen. Ich bestehe darauf.«
Der Drachenmeister knirschte mit den Zähnen.
»Also gut. Ich werde … ich werde sie holen lassen.«
Kratt nickte, gelassen und sichtlich befriedigt. »Versteht sie schon die Drachensprache?«
Der Drachenmeister runzelte die Stirn und zog die Schultern hoch. Er murmelte etwas, was weder Kratt noch ich deutlich hören konnten. Ich ertappte mich dabei, wie ich mich vorbeugte, mit angehaltenem Atem und rasend pochendem Herzen.
»Antwortet gefälligst, alter Mann!«, blaffte Kratt den Komikon an.
»Ich sagte: Sie wurde in meinen Stallungen dem Ritus noch nicht unterzogen.« Ein defensiver, leicht trotziger Ton schlich sich in die Stimme des Drachenmeisters. »Ich war bisher nicht geneigt, sie diesem Ritual zu unterwerfen.«
Kratt kniff die Augen zusammen. »Ist sie die Dirwalan Babu oder ist sie es nicht?«
»Sie ist es!«
»Warum zögert Ihr dann?«
Die Nasenflügel des Drachenmeisters blähten sich, und er verdrehte erneut die Augen. »Ich wollte erst mit ein paar anderen Novizen üben.«
»Ich bin nicht für meine Geduld berühmt, Komikon. Ihr habt mir erzählt, die von Euch erwählte Drachenkuh wäre dafür speziell ausgebildet.«
»Das ist sie.«
»Dann zaudert nicht länger. Ist das klar? Ich will die Geheimnisse der Drachen in Erfahrung bringen, bevor der Daron Re den wahren Grund für meine Entscheidung herausfindet, diese Ausgeburt in meinen Stallungen zu behalten. Ich will Bullenschwingen schlüpfen sehen!«
Er legte seine Hand auf die Peitsche an seinem Gürtel. »Der Tempel übt im Moment sehr viel Druck wegen dieses Mädchens auf mich aus. Zwingt mich nicht, Euch gegenüber ebenso viel Druck auszuüben, alter Mann! Beschafft mir die Schriftrolle des Rechtshäuptigen Kranichs und bringt das Mädchen zu der Drachenkuh. Noch heute Nacht!«
9
N achdem Kratt die Stalldomäne wieder verlassen hatte, rief der Drachenmeister Dono zu sich, der zwischen den anderen Schülern stand und mit brennendem Interesse die Schwielen und Splitter in seiner Handfläche zu untersuchen schien. Der Drachenmeister flüsterte ihm aufgeregt etwas zu, warf mir einen gehetzten Blick zu, stampfte dann vom Hof und verschwand in der Nacht.
Beim Abendessen würdigte Dono mich keines Blickes.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich rührte meinen Eintopf überhaupt nicht an, der ohnehin kalt war, weil Ringus nicht genug Zeit gehabt hatte, ihn vollständig zu erhitzen, so benommen war er von dem, was sich gerade zugetragen hatte.
Uns restlichen Schülern erging es nicht anders. Kalt oder warm, ich hatte jedenfalls keinen Appetit, denn Kratts vorsätzliche Provokation des Himmelswächters hatte mich bis ins Mark erschüttert, und auch meine Gedanken waren zu verworren, als dass ich mich mit so etwas Gewöhnlichem wie Essen hätte abgeben können.
Denn Kratt hatte von dem Ritus gesprochen.
Es erstaunte mich, dass er von dem geheimen Ritus wusste, bei dem eine Frau und ein Drache sich vereinten. Ebenso wie mich sein Wissen verblüffte, dass bei dieser Intimität die unverständlichen
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